
Aktuelle Ansatzpunkte für Vortrag und Diskussion gab es genug, schon durch die Finanz- und Wirtschaftskrise. Beim Streben nach Liberalisierung, Deregulierung und freiem Wettbewerb sei „die soziale Dimension ein Stück weit heruntergekippt“, kritisierte die 42-Jährige, die den „sozialen Zusammenhalt“ vermisst: „Es müssen Korsettstangen eingezogen werden. Wir brauchen Regeln, dass solche Auswüchse des Kapitalismus nicht mehr vorkommen.“ Die EU sei gefragt; ein Staat alleine könne es nicht regeln.
Ohne den Vertrag von Lissabon drohen weitere Blockaden
Es gehe um koordinierte Wirtschaftspolitik, um soziale Marktwirtschaft, „die auf Vollbeschäftigung ausgerichtet ist“ – wie es der Vertrag von Lissabon festlegt. Ihn sieht Kammerevert als wichtigen Baustein eines weiterentwickelten Europas. Wenn er nicht ratifiziert werde (und weiter Einstimmigkeit nötig sei), drohten immer wieder Blockaden: „Wir brauchen Mehrheitsentscheidungen. Schon bei 15 Mitgliedsstaaten waren die Entscheidungsverfahren schwierig, bei 27 geht es eigentlich schon nicht mehr.“
Erweiterungen der EU könne man deshalb zurzeit nicht vertragen – „ob wir über die Türkei, Kroatien oder wen auch immer reden“. Wobei die Debatte über die Türkei „relativ schwierig“ sei: Ohne Anerkennung „des gesamten Rechtsstandes“ der EU könne es keinen Beitritt geben.
In mehr als zwei Stunden angeregter Debatte streiften Kammerevert und die AG-60plus-Mitglieder zahlreiche Themen – von der gekrümmten Gurke über den Sozial- und Bildungsbereich („wir brauchen einen gemeinsamen Standard“) bis zu Gesundheit und Pflege. Kammerevert: „Ich tue mich mit jeder Privatisierung eines Krankenhauses schwer.“
Und wie viel EU braucht das Bergische Land? „Was die Menschen vor Ort betrifft, soll auch vor Ort entschieden werden“, sagt Kammerevert. „In Düsseldorf kann etwas Sinn machen, was in Solingen überhaupt keinen Sinn macht.“ Gerade das Bergische Land benötige jedoch dringend weiter die Unterstützung der Europäischen Union, etwa beim Erhalt und der Schaffung von Arbeitsplätzen. „Völlig absurd“ sei es, wenn das Land klammen Städten die vorgesehene Kofinanzierung verbiete.
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Quelle: Solinger Tageblatt