Hintergrund: Für Ärger selbst in der eigenen Fraktion hatte die Politikerin im vergangenen November gesorgt, als sie ihren Parlamentskollegen in einem Interview mit der "Bunten" vorwarf, mit einem mehr als lockeren Lebenswandel während der Straßburger Plenartagungen massenhaft Prostituierte anzuziehen – seitdem macht das Spottwort "Straps-Burg" (statt Straßburg) die Runde.
Viele Parlamentarier werfen der dreifachen Mutter zudem mangelnden Arbeitseifer und häufiges Fehlen sowohl im Plenum als auch in den Ausschüssen vor. Im Vorfeld hatten Unions- und SPD-Abgeordnete angekündigt, Koch-Mehrin wegen erheblicher Zweifel an ihrer Qualifikation nicht zu wählen. FDP-Generalsekretär Dirk Niebel sprach daraufhin von einem "Armutszeugnis", das Schwarz-Gelb im Bund in Frage stelle: "So entsteht jedenfalls keine Vertrauensbasis für eine künftige engere Zusammenarbeit."
Für einen anderen Europapolitiker war gestern ein Tag des Triumphs und die glückliche Krönung seines politischen Lebens. Jerzy Buzek war sichtlich gerührt, nachdem er mit 555 von 644 Stimmen zum neuen Parlamentspräsidenten gewählt worden war. Minutenlang beklatschten die Europa-Abgeordneten ihren neuen "Chef". Der träumte einst als Solidarnosc-Aktivist davon, Volksvertreter in einem freien Polen zu werden. "Jetzt bin ich Präsident des EU-Parlaments. So hat sich unser Kontinent verändert", sagte der 69-Jährige mit Tränen in den Augen.
Er wird Nachfolger des CDU-Politikers Hans-Gert Pöttering, der als einfacher Volksvertreter im Parlament bleibt. Dem tiefgläubigen Katholiken überreichte Buzek zum Abschied ein sehr persönliches Geschenk – eine Statue der Heiligen Barbara. Bergleute aus Buzeks Heimat fertigten die Schutzpatronin aus einem Stück Kohle. Sie sei ein Zeichen der Solidarität, so der ehemalige polnische Premier. Er weiß sehr wohl, dass vor allem Pöttering und deutsche Unionsabgeordnete seine Kandidatur förderten – auch um das deutsch-polnische Verhältnis zu entspannen,
Buzek bezeichnete seine Wahl als "Signal für die Menschen in Ost- und Mitteleuropa". Sie hätten hinter dem Eisernen Vorhang für Freiheit und Demokratie gekämpft. "Aber Ihr im Westen habt uns dabei geholfen", fügte er hinzu. Nun gebe es ein gemeinsames Europa.
Buzeks Wahl war das erste Anzeichen für eine erneute große Koalition im neuen EU-Parlament: Konservative und Sozialisten hatten im Vorfeld vereinbart, den Parlamentsvorsitz zu teilen. Auf Buzek soll 2012 ein Sozialdemokrat folgen. Ambitionen werden SPD-Mann Martin Schulz nachgesagt. Die schwarz-rote Zweckgemeinschaft entspringt mathematischer Notwendigkeit. Denn nur die EVP mit ihren 265 Abgeordneten und die Sozialisten mit 184 Vertretern können mühelos die absolute Zahl von 369 der 736 Stimmen erreichen, um Gesetze zu verabschieden. Eine Mitte-Links-Mehrheit wird nicht zustande kommen. Damit sind die Sozialisten trotz der herben Wahlschlappe vom 7. Juni unentbehrliche Mehrheitsbeschaffer.
Bei der Wiederwahl von José Manuel Barroso zum EU-Kommissionspräsidenten nutzt Schulz diese Rolle und macht den Konservativen das Leben schwer. Ohne sozialpolitische Zugeständnisse will seine Fraktion den als zu wirtschaftsliberal kritisierten Portugiesen nicht unterstützen – zumindest noch nicht. Da auch Liberale und Grüne sich sperren, hat Barroso zwar die Unterstützung der EU-Chefs, aber bisher nicht die nötige Mehrheit im Plenum. Seine Kür wurde deshalb auf Herbst verschoben.
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Quelle: RP Rheinische Post