„Der Protest findet in Europa kaum Aufmerksamkeit“

Interview mit Petra Kammerevert (SPD), Mitglied des Europaparlaments, Mitglied des Kultur- und Medienausschusses

Die SPD-Medienexpertin und Abgeordnete des Europaparlaments Petra Kammerevert hat in einem promedia-Gespräch betont, dass sie nicht erwarte,
dass die EU-Kommission im Zusammenhang mit Protesten gegen geplante „Tagesschau“-Apps aktiv werden könnte. „Wir Deutschen erweisen der Kommission sicherlich keinen Gefallen, wenn wir die getroffene Entscheidung mit weiteren Anfragen torpedieren und den Eindruck erwecken, wir würden diese nicht verstehen“, so Kammerevert. Es sei Sache der Mitgliedstaaten, eine zukunftsweisende Rundfunkordnung in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet zu etablieren. Dabei hätte die Kommission bewusst Freiräume zur Ausgestaltung gelassen, die im Sinne eines fairen Interessenausgleichs zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieter genutzt werden sollten.

promedia: Frau Koch-Mehrin hat in einem Schreiben an die Medienkommissarin gebeten die Rechtmäßigkeit des „Tagesschau“ Apps zu prüfen. Wie hat die EU-Kommission dieses Schreiben aufgenommen?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Anfrage große Aufregung bei der Kommission ausgelöst hat, denn die Antwort hat die Kommission meines Erachtens in Form der im vorigen Jahr überarbeiteten Rundfunkmitteilung schon gegeben. Darin greift die Kommission den Gedanken des Europäischen Rates auf, der zuvor erklärt hatte, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk den technologischen Fortschritt nutzen dürfe, um "der Öffentlichkeit die Vorteile der neuen audiovisuellen Dienste und Informationsdienste sowie der neuen Technologien nahe zu bringen". Die Kommission führt in der Mitteilung weiter aus, dass sie der Ansicht ist, "dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Lage sein sollten, die Möglichkeiten, die sich im Zuge der Digitalisierung und der Diversifizierung der Verbreitungsplattformen bieten, nach dem Grundsatz der Technologieneutralität zum Wohle der Gesellschaft zu nutzen". Und genau das macht der tagesschau-app.
Im Übrigen verlange ich dies als Gebührenzahlerin auch vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ich wäre nicht bereit, Gebühren für einen Steinzeit-Rundfunk zu zahlen. Vielmehr erwarte ich von der ARD, dass sie solche Applikationen nicht nur für Besitzer von iPhones bereithält – damit würde sie in Deutschland Kunden der Telekom bevorzugen. Vielmehr sollten solche apps auch für weitere Smartphone-Anbieter durch die ARD vorgehalten werden.

promedia: Wie ist der Stand der Prüfung? Ein Ergebnis sollte doch Mitte März vorliegen?

Die Anfrage wurde am 23. Februar 2010 an die Kommission gestellt; diese muss damit spätestens am 17. März die Antwort liefern. Bisweilen ist mir von einer Antwort nichts bekannt. Aber wenn die Kommission ihrem in der Rundfunkmitteilung dargelegten Kurs folgt, muss sie eigentlich zu dem Ergebnis kommen, dass aus europäischer Sicht gegen einen Tagesschau-App nichts einzuwenden ist. Es war nicht zuletzt der mit Deutschland gefundene Beihilfekompromiss und der hierüber teilweise erbittert geführte Streit, der die Kommission dazu veranlasst hat, die Rundfunkmitteilung zu überarbeiten. Dabei geht sie sicherlich von einer größeren Halbwertszeit ihrer Mitteilung als sechs oder zwölf Monate aus. Wir Deutschen erweisen der Kommission sicherlich keinen Gefallen, wenn wir die getroffene Entscheidung mit weiteren Anfragen torpedieren und den Eindruck erwecken, wir würden diese nicht verstehen. Es ist Sache der Mitgliedstaaten eine zukunftsweisende Rundfunkordnung in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet zu etablieren. Dabei hat die Kommission bewusst Freiräume zur Ausgestaltung gelassen, die wir in Deutschland fortschrittlich, im Sinne eines fairen Interessenausgleichs zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieter nutzen sollten. Streitigkeiten künstlich auf die europäische Ebene zu verlagern verstellt dabei den Blick für die künftigen Entwicklungen.

promedia: Es gibt seit Monaten Proteste gegen digitale Aktivitäten der ARD. Inwieweit ist man in Brüssel über diese Aktivitäten beunruhigt?

Der Protest, dem man übrigens eher in Deutschland als in Europa Aufmerksamkeit schenkt, war die zu erwartende Begleitmusik zu den derzeit laufenden Bestandsüberprüfung der digitalen öffentlich-rechtlichen Angebote im 3-Stufen-Test-Verfahren durch diejenigen, die es am liebsten hätten, dass ARD und ZDF allerhöchstens in schwarz-weiß und mono ausschließlich Sendungen in Telekolleg-Manier präsentieren würden. Dies sollte man gelassen als einen Ansporn an die Gremien der öffentlich-rechtlichen Anstalten auffassen, dass durchaus aufwendige Verfahren professionell, zügig und gerichtsfest zum Abschluss zu bringen.

Mein Eindruck ist vielmehr, dass insbesondere private Rundfunkanbieter, aber auch Internetdiensteanbieter aus Deutschland erkennen, dass es nicht der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist, der mit seinen Angeboten ihre Existenz bedroht oder ihnen einen permanenten Umbau ihrer Geschäftsmodelle abverlangt. Die Gefahr ist globaler zu sehen. Es sind die "big-player", bei weitem nicht nur Google, die beispielsweise unsere bisherigen Erwartungen an ein den Nutzern wie Schöpfern gerecht werdendes Urheberrecht in der digitalen Welt auf den Kopf stellen. Es sind global agierende Medienkonzerne, die mit offensiven, teilweise aggressiven Strategien kommerziellen Nutzen aus jeglichen neuen Kommunikationsdiensten ziehen wollen. „Google-books“ ist hierfür sichelich nur ein Beispiel.

Wir müssen bei der Verteilung des Nutzens aus der sog. "Digitalen Dividende", beim Aufstellen einer zukunftsweisenden Digitalen Agenda die großen Linien, wie zum Beispiel das Prinzip der Netzneutralität, im Augen behalten. Dagegen mutet ein Streit um tagesschau-apps eher provinziell an und ich hoffe, das sieht die Kommission genau so. Ich kann nur eindringlich appelieren, dass Verleger sowie private und öffentlich-rechtliche Rundfunkanbieter als auch Internetdiensteanbieter aus Deutschland schnellstens gemeinsamen Positionen zu den Herausforderungen der neuen Medienwelt finden. Anderenfalls wird Deutschlands Klein-Klein bei aktuellen medienpoliitschen Fragen weder europäisch noch global wahrgenommen.

promedia: Sehen Sie Anzeichen, dass die EU-Kommission die mit Deutschland ausgehandelte Vereinbarung zur Einstellung des Beihilfeverfahrens in Frage stellen könnte?

Nein. Der ausgehandelte Kompromiss geht Hand in Hand mit der überarbeiteten Rundfunkmitteilung aus 2009. Nochmals: Die EU-Kommission und auch das Parlament möchten nicht über alten Wein in alten Schläuchen diskutieren.
Aus der durch die Kommission vorgelegten EU 2020-Strategie wird ein viel wichtigeres Thema deutlich: Wir müssen jetzt politisch den Weg ebnen um sicherzustellen, dass moderne Kommunikationsmittel für eine Sicherung des Wohlstands und für Wachstum in Europa sorgen können. Hierin liegt Europas Chance im globalen Wettbewerb. Dabei müssen wir zu allererst dafür Sorge tragen, dass allen, vor allem allen jungen Menschen, der Zugang und die aktive Teilhabe an allen Kommunikationsformen ermöglicht wird und sie befähigt sind, diese virtuos und für ihre Fortentwicklung nutzbringend einzusetzen. Ein Infragestellen von zuvor in schwierigen Verhandlungen gefundenen Kompromissen wird uns dabei sicherlich nicht den Weg weisen.

promedia: Wie ist Brüssel mit anderen öffentlich-rechtlichen Anstalten – es gab ja weitere Beihilfe-Verfahren – „umgegangen“?

Es gab in der jüngeren Vergangenheit mehrere Entscheidungen, die allesamt in Richtung des mit Deutschland gefundenen Beihilfekompromisses gehen. Zu nennen ist hier beispielsweise die Ende Oktober 2009 ergangene Entscheidung zum ORF. Die Kommission erklärte hier, dass die Finanzierung des ORF im Einklang mit dem EU-Beihilferecht steht, sofern binnen 12 Monaten der Auftrag des öffentlich-rechtlichen präzisiert wird, die Finanzierung auf das zur Auftragserfüllung erforderliche Maß beschränkt wird, vor Einführung neuer Mediendienste Konsultationen durchgeführt, kommerzielle Tätigkeiten klar von öffenlich-rechtlichen Tätigkeiten getrennt und zukünftig nichtgenutzte Sportrechte Dritten zur Sublizenzierung angeboten werden

Fast gleichlautend fiel Ende Januar 2010 die Enbtscheidung zur Finanzierung des niederländischen Rundfunks aus.

Anfang Dezember 2009 hat die Kommission eine eingehende Untersuchung des neuen Finanzierungssystems für den spanischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk RTVE aus Steuermitteln eingeleitet. In Spanien sollen mit einer neu eingeführten Fernsehsteuer und einer Steuer für Telekommunikationsbetreiber die Verluste kompensiert werden, die der öffentlich-rechtlichen Anstalt durch ein Verbot von Werbung und kommerzieller Tätigkeit entstehen. Die KOM hat Zweifel, dass diese Steuern mit EU-Recht vereinbar sind. Das Ergebnis bleibt abzuwarten.

Auch in Frankreich ist die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks umstritten: Auch bei France Television soll die Werbung schrittweise abgeschafft werden; die Fehlbeträge sollen ebenfalls mit neuen Abgaben auf Werbung und elektronische Kommunikationsdienste kompensiert werden. 2009 musste France Television mit 450 Millionen Euro aus dem Staatshaushalt bezuschusst werden, diesen Zuschuss hat die Kommission zwar für zulässig erklärt, dennoch unterzieht sie die künftige Finanzierung des französischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks einer Überprüfung. Hinzu kommt, dass die KOM gegen Frankreich am 28. Januar 2010 ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat, denn nach Ansicht der Kommission stellt die zur Kompensation der wegfallenden Werbeeinnahmen eingeführte Steuer auf Telekommunikationsbetreiber eine mit europäischem Recht unvereinbare Verwaltungsabgabe dar. Bis Ende März muss die französische Regierung hierzu Stellung nehmen.

Untersuchungen der Kommission mit Blick auf die Frage, ob öffentliche Abgaben oder Zuwendungen eine Verletzung des europäischen Beihilferechts darstellen, laufen derzeit auch gegen Portugal (RTP), Griechenland (ERT) und Polen (TVP)

Besonders ärgerlich finde ich die gerichtliche Auseinandersetzung in Sachen DVB-t Einführung, die nunmehr der EuGH zu entscheiden hat. Die Bundesrepublik hat Ende Dezember 2009 – meines Erachtens zu Recht -gegen die Entscheidung des Gerichts 1. Instanz geklagt, das die Förderung der DVB-t Einführung in Berlin und Brandenburg durch die Medienanstalt als eine mit dem Binnenmarkt nicht zu vereinbarende Wettbewerbsverzerrung angesehen hatte. Ohne öffentliche Förderung wäre es vermutlich nicht zur Einführung dieser neuen und inzwischen durchaus akzeptierten Übertragungstechnik, gerade im ländlichen Raum gekommen. Nach meinem Dafürhalten können für die Förderung einer neuen digitaler Rundfunkübertragungstechnik, die immense Kosten verursacht und die kein privates Unternehmen ohne staatliche Förderung allein hätte tragen können oder wollen, die gleichen wettbewerbsrechtlichen Regelungen angewendet werden, wie die, mit denen festgestellt wird, ob durch staatliches Handeln Bäcker A gegenüber Bäcker B rechtswidrig bevorzugt wurde. Das Kabelnetz- und Satellitenbetreiber zu Gunsten ihrer etablierten Übertragungstechnik dagegen aufbegehren ist nachvollziehbar. Mit dem Wettbewerbsrecht würde aber etwas nicht stimmen, wenn es zum Hemmschuh für die Einführung innovativer Technik würde, von der letztlich die Menschen profitieren.

promedia: Die neue Medienkommissarin ist Frau Kroes, früher Wettbewerbskommissarin, die auch die Gespräche zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk geführt hat. Ist damit zu rechnen, dass Brüssel seine grundlegend befürwortende Position eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks ändert?

Nein, derzeit nicht. Dennoch bleibe ich vorsichtig. Es hat hartnäckiger Überzeugungsarbeit, nicht zuletzt des Europäischen Parlaments bedurft, die Kommission davon zu überzeugen, dass man Medien nicht behandelen kann wie Brötchen oder Autos, sondern dass es sich vor allem um ein Kulturgut handelt und dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in besonderer Weise Medien- und Meinungspluralität sowie kulturelle Vielfalt sichert und damit eine bedeutende Rolle in unserem demokratischen Gemeinwesen spielt. In der Anhörung hat Frau Kroes deutlich gezeigt, dass ihr Denken nach wie vor sehr wettbewerbsrechtlich geprägt ist. Ich erwarte aber von ihr in ihrer neuen Rolle, dass sie diesen eingeschränkten Blickwinkel gerade in Bezug auf die Medien ändert. Sie wird in ihrer neuen Funktion noch stärker als zuvor wahrnehmen, dass Medien ein Politikfeld eigener Art ist, dem nicht rein wettbewerbsrechtlich beizukommen ist. Im übrigen werden die Forderungen des Parlaments immer lauter, das UNESCO-Übereinkommen zur Vielfalt kultureller Ausdrucksformen, dem die EU beigetreten ist, auch mit Blick auf die Vielfaltssicherung von Medien und Kommunikationsformen zu achten. Frau Kroes konnte bereits in ihrer Anhörung als Kommissarsanwärterin die Erfahrung machen, dass ihre bisherige Herangehensweise an die Lösung anstehender Probleme von den Parlamentariern so sicher nicht akzeptiert wird und man von ihr künftig eine Betrachtung der Medien in ihrer Gesamtheit erwartet. Ich habe auch Schwierigkeiten damit Frau Kroes als Medienkomissarin zu bezeichnen. Es gibt keine alleinige Zuständigkeit für Medien bei einer Kommissarin oder einem Kommissar. Nach wie vor sind viele Kommissare für die Lösung anstehender Fragen aus der Medienwelt und für die Regelungen, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk betreffen, zuständig: Frau Kroes wird Kompromisse finden müssen, zu allererst mit Kulturkommissarin Vassiliou und auch mit Wettbewerbskommissar Alumnia.

promedia: Hat die EU-Kommission damit eindeutig die Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der digitalen Welt, sowie die Möglichkeit der Anpassung an die technische Entwicklung bestätigt?
Ja, Punkt 81 der Mitteilung ist hier sehr deutlich. Hier heißt es: "Diesbezüglich ist die Kommission der Ansicht, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Lage sein sollten, die Möglichkeiten, die sich im Zuge der Digitalisierung und der Diversifizierung der Verbreitungsplattformen bieten, nach dem Grundsatz der Technologieneutralität zum Wohle der Gesellschaft zu nutzen. Damit die fundamentale Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in dem neuen, digitalen Umfeld gesichert wird, dürfen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten staatliche Beihilfen einsetzen, um über neue Verbreitungsplattformen audiovisuelle Dienste bereitzustellen, die sich an die allgemeine Öffentlichkeit oder an Gruppen mit besonderen Interessen richten, sofern diese Dienste den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der jeweiligen Gesellschaft dienen und keine unverhältnismäßigen und bei der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags vermeidbaren Auswirkungen auf den Markt haben."

Der Beihilfekompromiss mit Deutschland bot gleichsam die Blaupause für diese Formulierungen in der Rundfunkmitteilung. In Deutschland sind daraus die detaillierten Regelungen für den 3-Stufen-Test erwachsen und im 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag rechtlich verankert. Jedoch halte ich es für zwingend notwendig, nach Abschluss der jetzigen Bestandsprüfung die Regelungen des 3-Stufen-Tests zu evaluieren. Manches erscheint mir hier verbesserungsbedürftig. Insbesondere dürfen die Vorgaben des 12. RStV nicht dazu führen, dass innovative Ideen von ARD und ZDF, von denen auch privat Rundfunkanbieter profitieren können, im Keim durch ein Bürokratiemonster erstickt werden.

promedia: Deutschland will ein neues Modell für die Rundfunkgebühr entwickeln. An welchen Punkten müssen die Ministerpräsidenten der Bundesländer aufpassen, um nicht mit den EU-Vorstellungen zu kollidieren?

Das hängt von der grundsätzlichen Frage ab, auf welches Modell der Rundfunkfinanzierung sich die Bundesländer festlegen möchten. In jedem Falle halte ich es für empfehlenswert, die dann geplante Finanzierungsreform vor ihrer Einführung von der EU-Kommission auf ihre Vereinbarkeit mit dem EU-Recht überprüfen zu lassen, um aufwendigen Verfahren, wie sie jetzt in Spanien und Frankreich geführt werden, zu entgehen. Gerade hinsichtlich einer in diesem Zusammenhang diskutierten Werbefreiheit öffentlich-rechtlicher Angebote sollte Deutschland vor einer Entscheidung die Erkenntnisse, die die Kommission bis dahin aus den Verfahren mit Spanien und Frankreich gezogen haben wird, berücksichtigen. Eine Kompensation der Einnahmeausfälle bei ARD und ZDF aus Steuermitteln oder staatlichen Zuschüssen möchte ich kategorisch ausschließen. Der Grundsatz der Gebührenfinanzierung muss beibehalten werden, um zu verhindern, dass der Staat unmittelbar auf die Finanzierung des deutschen Rundfunks Einfluss nimmt, denn damit hat Deutschland in der Vergangenheit nie gute Erfahrungen gemacht.

promedia: Ein strittiger Punkt war im vergangenen Jahr die Verwendung der Rundfunkfrequenzen, der digitalen Dividende. Ist mit dem Telekompaket der Streit um Nutzung und Koordinierung beigelegt?

Das Telekom-Paket wird künftig die Nutzung und Zweckbindung von terrestrischen Rundfunkfrequenzen europaweit regeln. Parlament und Rat waren sich entgegen der Kommission darin einig, dass dem Rundfunk ausreichend terrestrische Frequenzen zur Verfügung gestellt werden müssen um die Menschen auch hierüber mit digitalen Programmen zu versorgen. Bereits in der ersten Plenardebatte über das Telekom-Paket wurde seitens der Parlamentarier verdeutlicht, dass Rundfunkfrequenzen ein öffentliches Gut darstellen, das eben nicht nur ökonomischen, sondern auch kulturellen und sozialen Bedürfnissen dient. Im Vermittlungsverfahren hat sich das Parlament durchgesetzt. Ausnahmen von der Dienste- und Technologieneutralität im Sinne des Allgemeinwohls und des Erhalts der kulturellen Vielfalt sind nun im Telekompaket ausdrücklich zulässig. Insoweit ist bei der Vergabe auch eine Abwägung der Mitgliedstaaten erforderlich, die kulturelle und soziale Aspekte in dem jeweiligen Land mitberücksichtigt.

Ein weiterer entscheidender Punkt für Deutschland ist jedoch die Verfahrensweise bei Internetsperren. Das Telekom-Paket verlangt hier umfangreiche Rechtsweggarantien im Sinne eines vorgeschalteten, fairen und objektiven Verfahren, die Deutschland beim bisherigen Umgang mit Internet-Sperren nicht erfüllt. Meines Erachtens ist die Einführung eines Richtervorbehalts für Internet-Sperren bei der Umsetzung des Telekom-Pakets in Deutschland ohne Wenn und Aber geboten. Der bisherige Standpunkt des Kulturstaatsministers Neumann, hier auf eine Selbstregulierung unter Beteiligung von Rechteinhabern und Internet-Service-Providern zu setzen, ist für mich nicht haltbar. Intenetsperren stellen einen schwerwiegenden Eingriff in Kommunikationsgrundrechte dar und müssen deshalb einem effektiven Rechtsschutz unterliegen.

Darüber hinaus bereiten mir derzeit die Verhandlungen der EU mit der USA über Produktpiraterie im ACTA-Abkommen Sorge. Erstens müssen die Parlamentarier hier den Informationen in nicht akzeptablen Maße hinterher laufen. Wir erfahren aus der Presse, dass die EU mit den USA ein Maßnahmepaket zur Verhinderung von Internetpiraterie verhandelt. Dies haben wir vergangenen Donnerstag deutlich im Parlament gerügt. Zweitens ist das geistige Eigentum zwar zu schützen – es darf aber nicht den Anlass für die Bildung eines globalen Überwachungsregimes im Internet bilden. Unsere Aufgabe wird es sein, hier die Nutzerrechte zu wahren und für ein möglichst freies Internet einzutreten. Internetprovidern aufzuerlegen, Internetangebote zu kontrollieren, einzuschränken oder gar einzelnen Nutzern den Zugang zu sperren, sind für mich Überlegungen, wie ich sie höchstens aus China erwartet hätte und absolut inakzeptabel.

promedia: Welches Konzept zur Nutzung verfolgt gegenwärtig die EU-Kommission? Die Kommission wollte ursprünglich terrestrische Frequenzen für andere Telekommunikationsdienste in einem viel größeren Umfang freigeben.

Ich gebe zu, dass mir dies noch nicht ganz klar ist. Es deutet aber einiges darauf hin, dass es der Kommission am liebsten wäre, wenn man die terrestrischen Frequenzen vollständig von Rundfunkübertragungen frei räumen würde, um sie der wirtschaftlichen Verwertbarkeit zu überlassen. Vielleicht wird in der, in der kommenden Woche stattfindenden Anhörung zur zukünftigen Frequenzpolitik im EP einiges klarer. Fest steht aber für mich, dass wir nicht hinter die im Telekompaket gefundenen Kompromisse zurückgehen dürfen, sondern die hier niedergelegten Grundsätze zur Basis der weiteren Politik machen müssen.

promedia: Hat Frau Kroes hier eine andere Position als Frau Reding?

Streit gab es vor allem hinsichtlich der Frage, wer letztlich über die Vergabe der Rundfunkfrequenzen entscheidet. Eine Super-Regulierungsbehörde der EU, die Reding favorisiert hatte, wird es nicht geben. Die neue Institution soll Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (GEREK) heißen. Darin geht die Gruppe Europäischer Regulierungsstellen (ERG) auf. In der GEREK sitzen Vertretern der 27 nationalen Telekom-Aufsichtsbehörden. Zusammen mit der EU-Kommission können sie gegen nationale Regulierungsentscheidungen ein Veto einlegen. Das letzte Entscheidungsrecht bleibt jedoch beim nationalen Regulierer, so dass die Vergabeentscheidung bei den Mitgliedstaaten verbleibt.

Für begrüßenswert halte ich Frau Kroes‘ Position zur Netzneutralität. In der Anhörung als Kommissarsanwärterin machte sie deutlich, dass sie dagegen vorgehen will, wenn marktbeherrschende Unternehmen Dienste aus kommerziellen Gründen im Netz diskriminieren wollen. Es bleibt abzuwarten inwieweit sie diese Position in die Praxis umsetzen wird, hierin hat sie aber meine Unterstützung.