Impulsreferat bei der Veranstaltung des Forums Kultur und Kunst in NRW der Friedrich-Ebert-Stiftung am 7. Juli 2011
Lieber Fritz Behrens,
Lieber Martin Gräfe,
Sehr verehrte Damen und Herren,
„Europa fördert die Kultur?!“ Fragezeichen und Ausrufezeichen sind mit Bedacht gewählt, denn Kulturpolitik im engeren Sinne steckt auf EU-Ebene noch immer in den Kinderschuhen. Erst 1993, mit dem Vertrag von Maastricht, wurde sie als ein Politikfeld der EU mit einem Ziel etabliert, das zunächst nach "Quadratur des Kreises" klingt: Europäische Kulturpolitik soll die Gemeinsamkeiten der europäischen Kultur herausstellen, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Europäerinnen und Europäer stärken und dabei kulturelle, nationale und regionale Unterschiede in ihrer Entwicklung fördern. In Vielfalt geeint, so verlangt es seit Lissabon Art. 167 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union.
Auch bei der Diskussion um den Lissaboner Vertrag wurde sehr genau darauf geachtet, dass in Kulturfragen die europäische Ebene nur subsidiär tätig wird. Sieht man es sehr eng, gibt es gar keine (eigene) Kulturpolitik der EU, allenfalls eine ergänzende, wie das Programm der "Kulturhauptstädte Europas" oder eine die Mitgliedstaaten unterstützende, wie bei Zuschüssen zur Denkmalpflege der Fall.
Art. 167 Abs. 2 des EU-Vertrages stellt somit auch einen abschließenden Handlungskatalog für die Kulturförderpolitik der EU dar, über den nicht hinausgegangen werden darf:
1. Verbesserung der Kenntnis und Verbreitung der Kultur und Geschichte der europäischen Völker,
2. Erhaltung und Schutz des kulturellen Erbes von europäischer Bedeutung,
3. nichtkommerzieller Kulturaustausch und
4. künstlerisches und literarisches Schaffen, einschließlich im audiovisuellen Bereich
Weitere Grundlage der europäischen Kulturpolitik ist die europäische Kulturagenda aus dem Jahre 2007 . Sie benennt drei strategische Ziele, die im besonderen Interesse der europäischen Kulturpolitik liegen und stellt klar, was mit den Handlungsfeldern explizit bis 2010 erreicht werden sollte, nämlich:
1. die Förderung der kulturellen Vielfalt und des kulturellen Dialogs,
2. die Förderung der Kultur als Katalysator für Kreativität und
3. Förderung der Kultur als wesentlicher Bestandteil der internationalen Beziehungen der EU
Auf der Grundlage von Art. 167 und auf der Kulturagenda, fußt das Programm Kultur 2007, das bedeutendste Kulturprogramm der EU, Erstauflage im Jahr 2000, ausgestattet mit 400 Mio. € für den Zeitraum 2007 bis 2013. Es bezweckt u.a. den Ausbau der kulturellen Zusammenarbeit Kulturschaffender, die grenzüberschreitende Verbreitung kultureller Werke und den interkulturellen Dialog. Frau Bornemann, die Leiterin des Cultural Contact Points hat in Deutschland die Aufgabe, das Programm zu promoten und zu einem Erfolg werden zu lassen. Schon jetzt kann man ihr, kurz vor Ablauf der Förderperiode gratulieren: die Aufgabe ist ihr vortrefflich gelungen.
Weiterhin leistet das Programm "Europa für Bürgerinnen und Bürger zur Förderung einer aktiven europäischen Bürgerschaft 2007 bis 2013" mit seinen 215 Mio. Euro einen wesentlichen Beitrag im kulturellen Austausch. Viele transnationale Zusammenkünfte, Studien und Veranstaltungen mit Öffentlichkeitswirkung wurden und werden auch im Bereich der Kultur mit ihm möglich. Es wird auch in den Jahren 2014 bis 2020 mit etwas geringeren Mitteln (wohl mit 203 Mio. EUR) fortgeschrieben.
Außerdem ist die Bedeutung des Programmes Media 2007 (insgesamt 755 Mio. €) und des Aktionsprogramms ERASMUS Mundus zur Förderung des interkulturellen Verständnisses und der Kultur insgesamt unverkennbar.
Ich sehe ein, dass die Kulturförderung der EU zuweilen schwer zu durchschauen ist: denn auch in weiteren Programmen, denen man es nicht auf den ersten Blick ansieht, wird Kultur gefördert. Zum Beispiel in den Programmen "Jugend in Aktion" und "Lifelong Learning".
Die Suche nach dem Programm, das zu einem passt, kann manchmal zur Sysyphos-Arbeit werden, aber ich weiß, dass auch hier die cultural-contact-points eine hervorragende Beratungsarbeit leisten.
All diese Programme laufen 2013 aus – und Sie ahnen es: wir befinden uns kurz vor der Sommerpause nicht nur wettertechnisch in einer der heißesten Phasen dieses Jahres. Ende September, Anfang Oktober 2011 wird sich entscheiden, wie all diese Programme ab 2014 finanziell neu ausgestattet werden und wie sie künftig strukturiert sein werden. Es freut mich, dass ich hier eine fast taufrische gute Nachricht mit nach Wuppertal bringen kann: Erst vorige Woche hat die Kommission grob die Volumina für die kommenden sechs Jahre auch in den Bereichen Bildung, Kultur und Medien vorgelegt. Man darf für den Bereich Kultur und Medien recht optimistisch sein: Die Kommission schlägt für ein Programm unter dem Oberbegriff "Kreatives Europa" Mittel in Höhe von insgesamt fast 1, 6 Milliarden Euro für die Förderperiode von 2014-2020 vor, was einem durchaus beachtlichen Zuwachs von ca. 36 % entspricht. Auch darf man optimistisch sein, dass eine Förderung der Kultur- und Kreativwirtschaft, insbesondere bei kleineren und mittleren Unternehmen eine bessere Beachtung als bisher erfahren wird.
Kommissarin Vassiliou hat die Kleinteiligkeit der Programme als Problem erkannt und beabsichtigt daher eine Straffung.
Dies ist für uns Parlamentarier ein durchaus zweischneidiges Schwert, denn Straffung bedeutet im Zweifel auch weniger parlamentarische Mitbestimmung bei der Programmstruktur im Detail, wenn bisher voneinander getrennte Haushaltslinien zusammengefasst werden. Für uns wäre dann kaum noch ersichtlich, welches Geld in den Bereich Kultur, was in den Bereich Jugendaustausch und was in die Stärkung der Kreativwirtschaft geht. Eine politische Steuerung von Förderprogrammen würde dadurch erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Dieser Diskussion werden wir uns nach der Sommerpause stellen müssen. Zu erwarten stehen ausserdem auch noch harte Verhandlungen mit dem Ministerrat über die Mittelverteilung, die erfahrungsgemäß äußerst schwierig sind. Dabei wäre es hilfreich, wenn Deutschland hier unterstützend für die Bereiche Kultur und Bildung tätig werden könnte. Und weil wir hier im wesentlichen über Länderzuständigkeiten sprechen, blicke ich meinen hier heute anwesenden Landtagskollegen schon mal tief in die Augen, mit der Bitte auch auf unsere Landesregierung entsprechend einzuwirken, damit diese über die Länderkoordination darauf pocht, dass die von der Kommission vorgeschlagenen Erhöhungen nicht wieder zusammen gestrichen werden.
Darüber hinaus wird auf EU-Ebene die Kultur auch durch eher symbolische Aktionen unterstützt. Eine von ihnen war das Europäische Jahr des interkulturellen Dialogs 2008. Der Klassiker jedoch, an dem man sieht, dass auch symbolische Maßnahmen eine wichtige kulturpolitische Bedeutung haben, ist die jährliche Auslobung von zwei "Kulturhauptstädten Europas". Wir haben gerade im vergangen Jahr erlebt, welche Schubkraft dies für eine ganze Region bringen kann. Ich freue mich sehr, dass heute Abend mit Oliver Scheytt der Kopf und das Herz der "Ruhr 2010" bei uns ist, um mit uns zu diskutieren, wie die Erfahrungen der „Ruhr 2010“ und die Fördermöglichkeiten der EU für die Kulturpolitik in unseren Kommunen nutzbar gemacht werden können.
Nun aber in eine ganz andere Liga. Im Rahmen der beiden Europäischen Strukturfonds EFRE und ESF wurden und werden in der laufenden Förderperiode schätzungsweise 6 Milliarden Euro für Kultur ausgegeben. Leider sind die Strukturfonds nicht nur in der Gesamtsumme der zur Verfügung stehenden Mittel unschlagbar, sondern auch, was ihre Undurchschaubarkeit, die Schwierigkeiten der Antragstellung und das Projektmanagement angeht. Weder für mich noch für die Kommission, die es eigentlich wissen müsste, ist bezifferbar wie viel Gelder aus den Strukturfonds in Aufbau und Förderung kultureller Projekte fließen. In jedem Fall aber ist es mehr als die Gesamtsumme aller zuvor genannten Programme. Da aber auch hier eine Neuauflage ansteht, ist jetzt das Zeitfenster offen, dies durch Steigerung der Transparenz deutlicher werden zu lassen, wofür ich mich gern einsetzen werde. Ebenso wichtig scheint es allerdings, Kulturförderung als explizites Förderziel in die Strukturfonds aufzunehmen, damit diese zukünftig nicht länger mehr oder weniger versteckt, sondern offen und ebenfalls transparent erfolgen kann.
Hinsichtlich der künftigen Möglichkeiten europäische Mittel besser abschöpfen zu können, hat die rot-grüne Landesregierung NRW gute Vorarbeit geleistet und die Weichen für die Kommunen in die richtige Richtung gestellt. Europäische Fördermittel stellen dem Grundsatz nach regelmäßig eine Komplementärfinanzierung dar. Mit der Änderung des § 76 der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung, die noch nicht einmal seit einem Monat in Kraft ist, wird es künftig wieder mehr Kommunen mit klammer Kassenlage in NRW möglich sein, europäische Fördermittel für ihre Projekte in Anspruch zu nehmen. Die Heraufsetzung des Sanierungszeitraums von 4 auf 10 Jahre sorgt dafür, dass Kommunen, die bisher mit Nothaushalten arbeiten mussten und die sich daher so gut wie gar nicht mehr bewegen konnten, eine Chance auf genehmigungsfähige Haushaltssicherungskonzepte erhalten. Binnen zehn Jahren saniert es sich einfacher und realistischer als binnen vier. Sobald eine Gemeinde ein solches genehmigungsfähiges Haushaltssicherungs¬¬konzept vorlegen kann, steht sie zwar immer noch unter verschärfter Kontrolle durch die Bezirksregierung, ist aber immerhin dem Nothaushaltsrecht entkommen und darf wieder Eigenmittel, die für den Abruf europäischer Gelder unumgehbar vorgeschrieben sind, in den Haushalt einstellen. Dies war ihnen im Nothaushaltsrecht prinzipiell verwehrt, da dort solche Eigenmittel regelmäßig als freiwillige Leistungen betrachtet wurden und deshalb nicht veranschlagt werden konnten.
Ich möchte deshalb hier dafür werben, dass die Gemeinden, die diese Chance in NRW bekommen, sie auch in diesem Sinne nutzen. Ich weiß, dass dies keine einfache Forderung ist, aber immerhin ist es doch besser, dass eine Investition in Kultur nicht hundert sondern nur 70 oder 65 % kostet. Und solche Investitionen in die Kultur zahlen sich häufiger aus, als sie schiefgehen, packt man sie mit Ideenreichtum und sicherlich auch mit etwas Mut an.
Jeglicher europäischer Kulturförderung ist eines gemein: Ein europäischer Nutzen, ein "Mehrwert" mit europäischer Perspektive soll durch sie sichtbar werden, der sich ohne ein Tätigwerden der EU nicht oder nicht so schnell eingestellt hätte. Das bedeutet nicht etwa, dass das Geld der Entwicklung einer Einheitskultur "Made in Europa" dienen soll. Mitnichten!
Zu einem darf die Kulturförderung der EU aber auch nicht verkommen, nämlich zur internationalen Ersatzzahlung. Häufig gehen in meinem Büro Anfragen nach folgendem Strickmuster ein: "Ich habe da eine tolle Idee und das Land, die Kommune und der Bund haben kein Geld, jetzt wollte ich mal schauen, ob Europa noch was übrig hat." Etwas feinsinniger aber im Prinzip das Gleiche ist es, wenn in Anträgen die Großartigkeit Europas gepriesen wird und alle Projektteilnehmer Europa für eine tolle Sache halten, man aber im Ergebnis nicht unbedingt etwas Europäisches wird erkennen können.
Um es ganz deutlich zu sagen: Die EU kann nicht der Kompensator für Kulturförderung sein, die auf anderen Ebenen versäumt wird. Es darf als Gegenleistung auch erwartet werden, dass im weitesten Sinne eine europäische Perspektive in den Blick genommen wird – also ein europäischer Mehrwert entsteht.
Mit Blick auf die zu Beginn dargestellte gesamtgesellschaftlichen Aufgaben und Ziele der EU-Kulturförderung kann diese immer nur ergänzend und unterstützend sein. Sie kann Fehlendes nicht ersetzen, sie kann nur auf Vorhandenem aufbauen. Deshalb am Schluss die bittere Erkenntnis: Wer Kultur als Verfügungsmasse in Kommunalhaushalten betrachtet und in diesem Bereich nicht bereit ist, mit Mut und Kreativität zunächst selbst das Feld zu bestellen, darf nicht beleidigt sein, wenn die EU nichts oben drauf gibt. Wer aber heute erkannt hat, dass Kulturausgaben keine Geldverschwendung sind, sondern Zukunfts- und Standortinvestitionen, wer dies dann auch haushalterisch konsequent umsetzt und "on top" dem Ganzen eine europäische Dimension verleiht, der wird nicht nur seiner Stadt und den in ihr lebenden Menschen etwas Gutes tun, sondern hat gute Chancen, dass sein Engagement auch finanziell von der EU goutiert wird.
Jean Monnet wird der Satz zugeschrieben: "Wenn ich das Ganze der europäischen Einigung noch einmal zu machen hätte, würde ich nicht bei Kohle und Stahl, sondern bei der Kultur beginnen.“ Man weiß nicht so genau, ob Monnet diesen Satz jemals gesagt hat und wahrscheinlich wäre es auch naiv zu glauben, wir wären allein über die Kultur so weit gekommen, wie wir heute sind. Aber dennoch denke ich wir sollten bei der gemeinsamen und unendlichen vielfältigen Kultur in Europa weitermachen.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen heute Abend spannende, anregende Diskussionen mit vielen kreativen Ideen.