Meine sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für die Einladung, bei Ihrer heutigen festlichen Innungsversammlung ein Grußwort sprechen zu dürfen. Es ist ein wahrlich schöner Anlass, der uns heute hier zusammenführt: 18 Auszubildende werden heute von ihrer Lehrzeit losgesprochen und erhalten ihrer Gesellenbrief. Ihnen allen möchte ich schon jetzt meine herzlichsten Glückwünsche aussprechen und Ihnen für Ihren weiteren beruflichen, aber auch persönlichen Lebensweg alles nur erdenklich Gute wünschen.
Leider ist es noch immer nicht selbstverständlich, dass sich außerhalb von Fachkreisen jemand für die Europapolitik interessiert. Umso mehr freue ich mich, heute hier sein zu können. Bei den Schornsteinfegern ist dies aber wohl so ungewöhnlich nicht, denn auch mein Vorgänger, Klaus Hänsch, der auch Präsident des Europäischen Parlaments war, hat schon bei Ihnen gesprochen. Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass ich mit diesem Grußwort in wahrlich große Fußstapfen trete.
Insgesamt 99 Europaabgeordnete vertreten Deutschland im Europäischen Parlament, 23 davon kommen von der SPD, für die ich regional zuständig bin für die Städte Düsseldorf, Wuppertal, Remscheid, Solingen, Krefeld, Mönchengladbach sowie für die Kreise Neuss und Mettmann. Insgesamt also für mehr als 2,5 Millionen Menschen. Das sind etwa so viele Einwohner wie in den EU-Mitgliedstaaten Slowenien oder Lettland und so viele wie in Estland, Luxemburg, Malta und Zypern zusammengerechnet.
Viel zu weit weg erscheint die EU den Menschen vor Ort, die Entscheidungswege wirken undurchsichtig, vieles zu bürokratisch. Aber wer den Versuch wagt und über den nationalstaatlichen Tellerrand schaut, der stellt rasch fest, wie viel bereits in Brüssel und Straßburg entschieden wird, das unsere Arbeit und unser Leben direkt beeinflusst.
Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass nahezu 70 Prozent aller nationaler politischer Entscheidungen und Regelungen in Deutschland bereits auf Europarecht basieren. Unzählige Verordnungen sind unmittelbar geltendes Recht in den Mitgliedstaaten. Richtlinien die gemeinsam vom Europäischen Parlament und Ministerrat beschlossen wurden, müssen von Deutschen Bundestag oder von den Länderparlamenten nur noch in nationales Recht umgesetzt werden. Oftmals erleben wir daher, wenn Regelungen aus Europa zum Beispiel beim Verbraucherschutz oder beim Umweltschutz als positiv empfunden werden, heften sich die Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundestag, das gern selbst an die Brust und verschweigen dabei, dass eigentlich das Europäische Parlament gemeinsam mit dem Ministerrat die Sache auf den Weg gebracht haben. Gibt es aber kurioses zu berichten oder sind unpopuläre Entscheidungen zu verkünden, schiebt man den schwarzen Peter dann doch lieber gern nach Brüssel, ohne natürlich dabei zu erwähnen, dass die deutsche Bundesregierung über den Ministerrat natürlich daran beteiligt war. Vermeintlich entgeht man so der Gefahr, von dem Wähler abgestraft zu werden. Schuld sind dann „die da in Brüssel“. So geschehen z.B. beim Gebietsmonopol der Schornsteinfeger.
Ihr Beruf, meine Damen und Herren, hat eine lange Tradition. Den Schornsteinfegern wurden hierzulande hoheitliche Aufgaben und damit die Pflicht zu besonderer Qualität übertragen. Im Gegensatz zu anderen Ländern Europas, erfüllen Schornsteinfeger in Deutschland Dienstleistungen der Daseinsvorsorge, in dem sie z.B. Brandschutzmaßnahmen, die Energieeffizienz und den Emissionsschutz überwachen.
„Bei der Feuerstättenschau, bei der Bauabnahme und bei Tätigkeiten auf dem Gebiet des Immissionsschutzes sowie der rationellen Energieverwendung nimmt er (der Schornsteinfeger) öffentliche Aufgaben wahr.“ So steht es im §3 des Schornsteinfegergesetzes geschrieben.
Ich finde es übrigens auch richtig, gerade auf diesen Feldern Aufgaben hoheitlich zu übertragen, besondere Qualitätsmaßstäbe anzulegen und entsprechend staatlich zu kontrollieren.
Wer solche hoheitlichen Aufgabe wahrnimmt, hat auch das Recht auf Schutz vor den Wettbewerbsmechanismen des Marktes. Hier, so würde man denken, hat das EU-Wettbewerbsrecht seine Grenzen. So war es auch lange Zeit, denn wo kein Kläger, da kein Richter. Doch einigen in Deutschland war das Gebietsmonopol der Bezirksschornsteinfeger ein Dorn im Auge. Die Internetseiten www.Kontra-Schornsteinfeger.de oder www.Schornsteinfeger-KO.de stehen noch heute als Beweis für diese breit angelegte Kampagne.
Durch mehr Wettbewerb würde Bürokratieabgebaut und mehr Bürgernähe erreicht werden können, so das Credo. Der Ruf aus Deutschland nach Abschaffung der Kehrbezirke und des Kehrmonopols und nach der freien Wahl des Schornsteinfegers für den Hauseigentümer war dann auch für Europäische Kommission nicht zu überhören.
Und so wurde die Europäische Kommission als „Hüterin der europäischen Verträge“ zu ihrer Pflicht gerufen, zu prüfen, ob das Gebietsmonopol dem EU-Recht der Niederlassungsfreiheit und dem freien Dienstleistungsverkehr nicht widerspricht. Unternehmen aus dem EU-Ausland könnten daran gehindert werden, auch auf dem deutschen Markt ihre Dienste anzubieten.
Mehr Argumente, als sie aus unserem eigenen Land geliefert wurden, hätte die Kommission selbst kaum finden können.
Und so kam es, wie es kommen musste: Die Kommission drohte Deutschland mit Vertragsverletzungsverfahren, sollte das deutsche Schornsteinfegergesetz nicht neu geregelt werden (Oder technokratischer ausgedrückt „EU-rechtskonform“ gemacht werden), mit der Konsequenz, dass spätestens ab 2013 Schornsteinfegerarbeiten für den Wettbewerb geöffnet werden. Die unmittelbaren Folgen für die Tätigkeit der Schornsteinfeger kennen Sie besser als ich meine Damen und Herren.
Ich will aber zwei Sachen dazu sagen:
1. Die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit im Vereinten Europa gehören zu den großen Errungenschaften unserer europäischen Politik.
Die Bedingungen für die Niederlassung und Ausübung der Dienstleistungen müssen aber nicht überall in Europa die gleichen sein. Niederlassungsfreiheit bedeutet, dass jeder – gleich welcher Nationalität – eine faire Chance haben muss, die Bedingungen zu erfüllen. Wir dürfen niemanden wegen seiner Nationalität davon ausschließen, Bezirksschornsteinfeger zu werden. Aber wir können verlangen, dass er dafür die in Deutschland geltenden Bedingungen erfüllen muss. Die Europäische Kommission und nötigenfalls der Europäische Gerichtshof müssen lediglich darauf achten, das nationale Gesetze nicht der Abschottung und Verdrängung dienen, sondern auf den Schutzzweck gerichtet sind. Bei der Brandsicherheit sowie beim Umwelt- und Klimaschutz darf man keine Abstriche machen. Da ist Kontrolle sinnvoll und vor allem notwendig. In diesem Bereich muss zum Wohle von uns allen der Schornsteinfeger sein hoheitliches Recht behalten.
2. Ich kann fachlich nicht einschätzen, ob das Gebietsmonopol tatsächlich aufgeweicht oder aufgebrochen werden musste. Ich weiß nicht, ob Abnahme und Überwachung von Feuerungsanlagen auch anderen Fachhandwerkern übertragen werden kann. Und ich bin mir nicht sicher, ob durch die Wahlfreiheit der Hausbesitzer wirklich ein fachlicher oder ein finanzieller Mehrwert entsteht.
Aber, meine Damen und Herren, nur weil Europa auch bei den Schornsteinfegern auf die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit pocht und Wettbewerbsverzerrungen verhindern will und muss, weil diese dem gemeinsamen Binnenmarkt grundlegend widersprechen, gehören die Schornsteinfeger noch lange nicht zu einer aussterbende Art. Durch die Regelungen im Schornsteinfegergesetz aber auch durch weitere europäische Gesetzgebungen eröffnen sich neue Möglichkeiten und Betätigungsfelder und damit auch neue Chancen.
Der Schornsteinfegerberuf wird sich sicherlich weiter verändern und möglicherweise wird damit auch das uns allen so lieb gewordenen öffentliche Erscheinungsbild des schwarz gekleideten, immer ein wenig mit Ruß bedeckten Mannes, der sein Handwerkszeug zusammengerollt über der Schulter trägt, verschwinden, was sicherlich ein wenig wehmütig stimmen kann. Aber Zeiten ändern sich nunmal und das ist gut so, weil es sonst keinen Fortschritt gäbe. Die Schornsteinfeger werden zukünftig viel stärker als moderne Energieberater gebraucht, sie kennen die Häuser, die sie betreuen in und auswendig, kennen die Schwachstellen und können den Hausbesitzern mit unabhängigem Rat und mit Tipps zur Seite stehen. Im Mai vergangenen Jahres verabschiedete das Europäische Parlament eine Richtlinie zur Energieeffizienz von Gebäuden. Das heißt auch Häuser müssen zukünftig sparen und ihren Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten. Bis 2020 muss bei allen neu gebauten Gebäuden der Energiebedarf bei Null liegen. Für öffentlich Gebäude gilt dies sogar ab 2018 Auch bei größeren Renovierungen müssen diese neuen Anforderungen berücksichtigt werden. Energieausweise auch für den Bestand werden verpflichtend und bei Wohnungsanzeigen muss die Energieeffizienz angegeben werden, damit die zukünftigen Mieter oder Eigentümer erkennen können, auf was sie sich energieverbrauchstechnisch einlassen. Daraus ergeben sich aus meiner sicherlich eher laienhaften Sicht auch für Ihre Betriebe neue Betätigungsfelder.
Gleichzeitig ist aber nach wie vor das hohe Niveau der Betriebs- und Brandsicherheit von Feuerungsanlagen wie bisher zu gewährleisten, und auch hier sind Sie nach wie vor im Boot. Das deutsche Handwerk war schon immer Exportschlager und Motor für Arbeitsplätze in Deutschland. Auch die Tatsache, dass wir hier in nicht allzu weit von der Grenze weg sind, könnte neue Möglichkeiten bieten, den Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit sind keine Einbahnstraße und gelten daher natürlich auch in unseren Nachbarländern. Ihr Wissen und Können kann auch jenseits der Grenze von Interesse sein.
Und weil wir hier heute 18 Auszubildende als Gesellen gleichsam in die Freiheit entlassen, lassen Sie mich noch eine herzliche Bitte an alle hier anwesenden Schorsteinfegerbetriebe mit auf den Weg geben. Bitte lassen Sie in Ihren Bemühungen, auch weiterhin junge Menschen zu Schornsteinfegerinnen und Schornsteinfeger auszubilden nicht nach. Wir brauchen auch zukünftig gut ausgebildete junge Facharbeiterinnen und Facharbeiter und wir brauchen Zukunftschancen für unsere jungen Menschen. Die Zahlen zeigen, dass Sie alle Ihre Verantwortung in diesem Bereich sehr ernst nehmen und dafür gebührt Ihnen Dank. Ich weiß aus Erzählungen, dass es nicht immer einfach ist, Nachwuchs zu finden, denn der Schornsteinfegerberuf ist sicherlich nicht unter den Top-ten der beliebtesten Berufe, aber Sie haben noch immer den sehr unmittelbaren Kontakt zu den Menschen in Ihrer Nachbarschaft. Diesen sollten Sie auch zukünftig nutzen, für Ihrer Beruf zu werben, ihn bekannt zu machen und auch zu zeigen, dass Schonsteinfeger sein heute sehr viel mehr ist als nur Kamine kehren.
Ich bin fest davon überzeugt, dass das Schornsteinfegerhandwerk die neuen Möglichkeiten zu seinem Vorteil nutzen wird und zum Wohle von uns allen umsetzt. Und ich hoffe sehr, dass dieses geänderte Berufsbild nicht dazu führt, dass wir zukünftig unseren Kindern oder Enkelkindern nicht mehr erzählen werden, dass es Glück bringt einen Schornsteinfeger zu treffen. Bei aller Veränderung, sollten wir an der einen oder anderen schönen Legende dann doch festhalten, denn auch sie gehören zum kulturellen Erbe unseres Europas dazu.
Und wenn es denn doch mehr sein sollte als eine Legende, dass Schornsteinfeger Glück bringen, kann uns bei so vielen heute hier im Saal eigentlich nichts mehr passieren und uns sollte um die Zukunft nicht bange sein.
In diesem Sinne ein herzliches Glück auf und ich danke für Ihre Aufmerksamkeit