

An über 200 Orten in Europa demonstrierten Bürgerinnen und Bürger am Samstag, 11.02.2012 gegen das geplante ACTA-Abkommen. Petra KAMMEREVERT, MdEP und Mitglied der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament sprach vor 2000 Menschen bei der Düsseldorfer „Stoppt ACTA-Demo“. Hier ihre Rede im Wortlaut:
Liebe Düsseldorferinnen und Düsseldorfer,
Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass viele hier auf dem Platz der Sozialdemokratie in Sachen Netzpolitik kritisch gegenüberstehen. Die Sozialdemokratie wird zu Recht häufig mit einem Tanker verglichen – schwerfällig und unbeweglich. Aber am Ende bewegt er sich doch – so auch bei ACTA.
Wir haben in unserer Fraktion im Europäischen Parlament am vergangenen Mittwoch sehr ausführlich und intensiv über ACTA diskutiert und zu meiner eigenen Überraschung vor allem aber zu meiner großen Freude zeichnet sich in der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament eine deutliche Mehrheit gegen ACTA ab.
Dieses Abkommen muss vom Tisch und ich bin froh, dass die Diskussion in meiner Fraktion sich in die richtige Richtung bewegt. Hierzu hat auch der vielfältige und massenhafte Protest gegen dieses Abkommen in fast allen Mitgliedstaaten der EU beigetragen.
Wir sind auf einem guten Weg, aber noch nicht am Ziel. In den nächsten Wochen und Monaten wird es nun darum gehen, sowohl in meiner eigenen Fraktion wie auch im Parlament insgesamt, all diejenigen, die ACTA nach wie vor für ein geeignetes Mittel zur Bekämpfung der Produktpiraterie und von Urheberrechtsverletzungen halten, zu überzeugen: ACTA ist ein Angriff auf fundamentale Grundrechte, wie den Schutz der Privatsphäre, die Meinungs-, Presse-, Informations- und Kommunikationsfreiheit sowie auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Das Europäische Parlament ist hier in einer Schlüsselposition: wenn wir Nein sagen, dann ist das Abkommen Geschichte! Dafür brauchen wir aber Mehrheiten, die weit über meine eigene Fraktion hinausgehen. Deshalb gilt es, auch weiterhin, mit guten Argumenten zu überzeugen und es ist gut, dass heute überall in Europa Menschen auf die Straße gehen, um diese auch öffentlich vorzutragen.
ACTA wurde in einem völlig intransparenten Verfahren verhandelt: unter Ausschluss der Öffentlichkeit und unter Ausschluss der Parlamente.
Das Abkommen wimmelt nur so von unbestimmten Rechtsbegriffen, die der Interpretation in die eine wie die andere Richtung Tür und Tor öffnen. Die Protokolle und vorbereitenden Dokumente zum Abkommen, die hier Klarheit schaffen könnten sind nach wie vor nicht öffentlich und auch den Abgeordneten nicht uneingeschränkt zugänglich. Das, was uns vorliegt ist mit vielen geschwärzten Balken versehen. Das ist inakzeptabel und schon allein Grund genug für eine Ablehnung.
Trotz der Bekräftigungen, sowohl der Kommission wie auch der deutschen Bundesregierung, dass sich aus ACTA keine Änderungsnotwendigkeit für bestehendes europäisches oder deutsches Recht ableiten ließen, bleiben viele Fragen offen. So findet sich im Abkommen beispielsweise eine nicht näher konkretisierte Aufforderung an die Provider zur „Kooperation“ mit Rechteinhabern, was Auskunftsverpflichtungen der Provider über ihre Kunden einschließt. Einstweilige Maßnahmen sollen ohne Anhörung der Betroffenen möglich sein. Rechtsschutz und rechtstaatliche Verfahren werden so ausgehebelt und es wundert nicht, dass im Abkommen der Begriff „rechtsstaatliche Verfahren“ ersetzt wurde durch „faire Gerichtsverfahren“, was immer das auch sein mag.
Zwar finden sich keine unmittelbaren Verpflichtungen zur Überwachung von Netzwerken.
Netzsperren, Internetzugangs¬sperren oder automatisierte Warnhinweismodelle mit einer flächendeckenden Inhaltefilterung werden im Abkommen selbst nicht genannt. Die Befürchtungen, dass Anbieter mit Hilfe von ACTA genau hierzu gedrängt werden könnten, bestehen jedoch zu Recht. Die Länder verpflichten sich nämlich in Artikel 27 des Abkommens „Kooperationsbemühungen im Wirtschaftsleben zu fördern, die darauf gerichtet sind, Verstöße gegen Marken-, Urheberrechte oder verwandte Schutzrechte wirksam zu bekämpfen“. Nicht nur zivilrechtliche Haftungsansprüche sondern auch strafrechtliche Sanktionen sind vorgesehen. Dass diese sich nur auf eindeutig kommerziell ausgerichtete Vergehen beziehen, lässt sich aus dem Text nicht ablesen. Am Ende könnte eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung stehen, die vor allem die Provider in die Pflicht nimmt, sich als Hilfssheriffs zu betätigen.
Zwar war man sich in der Fraktion weitgehend darüber einig, dass Produkt- und Markenpiraterie zu bekämpfen sind. Es geht hierbei nicht nur um gefälschte Prada- oder Gucci-Taschen, sondern auch um gefälschte Medikamente oder Autoersatzteile und somit um Fälschungen, die für die Menschen durchaus gefährliche und unabsehbare Folgen haben können. Aber auch diesbezüglich wurden Zweifel laut, ob ACTA auf Grund der eingeschränkten Anzahl der Unterzeichnerstaaten ein geeignetes Mittel darstellt.
Einig war man sich ebenfalls darin, dass Europa ein modernes Urheberrecht braucht, dass eine vernünftige Balance zwischen den berechtigten Interessen der Nutzer und der Urheber findet.
Der Schutz von Urheberrechten Einzelner darf aber in gar keinem Fall zur Aushebelung der Kommunikationsfreiheiten aller Menschen führen.
Diese Hausaufgaben müssen wir aber in Europa selbst erledigen.
ACTA hilft dabei in keiner Weise. Im Gegenteil: Es lässt das Pendel zu Lasten fundamentaler Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger Europas ausschlagen und könnte uns bei allen weiteren Diskussionen zum Urheberrecht in Zugzwang setzen, diesen Weg auch im europäischen Recht weiterzugehen.
Deshalb: Nein zu ACTA