Rede von Petra Kammerevert auf der Tagung „360 Grad – Expertentreffen zur konvergenten Medienregulierung“

Petra Kammerevert, MdEP
Petra Kammerevert, MdEP

Sehr geehrte Frau Dr. Schlunck,
sehr geehrte Frau Schäferkordt,
sehr geehrter Herr Professor Ory,
sehr geehrte Damen und Herren,

Der Bitte hier heute als Keynote-Speakerin kurzfristig einzuspringen, bin ich gern nachgekommen, nicht zuletzt, weil die Themen, die Sie heute in dieser Veranstaltung diskutieren wollen, den Nerv der derzeitigen medienpolitischen Diskussionen treffen. Die mir gestellte Aufgabe, einen Parforceritt durch die heute hier zu behandelnden Themen zu machen, ist jedoch keine einfache. Ich will versuchen, die unterschiedlichen Stränge zusammenzufügen und sie gleichzeitig in ein paar sehr grundsätzliche Überlegungen einbetten und sie damit gleichsam zu erden.

Ich will mit der Medienkonvergenz beginnen: Wenn wir ehrlich zueinander sind, ist Medienkonvergenz das Wort, das alle hier Versammelten zumindest ein wenig beunruhigt. Denn das, was sich hinter diesem Begriff verbirgt, stellt das gestern noch sicher Geglaubte in Frage und zwar immer grundsätzlicher, immer unaufhaltsamer, schneller und vor allem unumkehrbar. Obwohl Konvergenz in seinem lateinischen Ursprung „sich einander zuneigen“ bedeutet, bewirkt sie in der Medienlandschaft das genaue Gegenteil. Sie fragmentiert Publikum, Technologien und Inhalteanbieter gleichermaßen. Und sie sorgt dafür, dass medienpolitische Entscheidungen nicht nur immer schwieriger werden: Ich habe den Eindruck, dass die Lücke zwischen den Dingen, die in der Medienwelt einer Regelung bedürfen um einen fairen Ausgleich zwischen den jeweils Beteiligten zu schaffen und den bestehenden Regelwerken hinsichtlich ihrer Angemessenheit in sachlicher und zeitlicher Hinsicht größer wird. Das Ganze hat inzwischen etwas von dem berühmten „Hase und Igel-Spiel“.

Einerseits belegen viele Studien, dass klassische Inhalte und Verbreitungswege nicht so schnell vom Markt verdrängt werden, wie wir vielleicht befürchtet haben. Das mag schon sein; und dennoch beruhigen diese Feststellungen niemanden wirklich. Denn andererseits verlangen immer leistungsfähigere Endgeräte immer leistungsfähigere Netze, in denen alle erdenklichen, datenintensiven Dienstleistungen vorgehalten werden. Der Wettbewerb dreht sich schon längst nicht mehr um die Frage, ob das Fernsehen oder das Internet als künftiges Leitmedium anzusehen sind. Man wetteifert um die Gunst des Verbrauchers mit Geräten, die Telekommunikation, Rundfunk und Internet für ihn so optimal verbinden, dass er sein immer stärker stimuliertes Bedürfnis nach Information, interaktiver Teilhabe und Mobilität befriedigen kann. Automatisch überlagern sich damit Themengebiete, die man politisch bislang getrennt voneinander betrachtet hat. Audiovisuelle Medien, eCommerce, Informationsgesellschaft, Wettbewerb und Urheberrecht rücken auch in der EU-Kommission immer näher zusammen.

Um diese Lücke zu schließen, bedarf es dringend der Verständigung über Grundsätze, die in einer konvergenten Medienwelt von allen anerkannt werden, die Akteure und Nutzer gleichermaßen akzeptieren und die einen fairen Wettbewerb garantieren. Ich bin allerdings überzeugt, dass man diese Grundsätze nicht neu erfinden sondern lediglich der Konvergenz anpassen muss.

Der Grundsatz, dass kreative Güter gleichermaßen eine wirtschaftspolitische wie kulturpolitische Komponente besitzen, gilt nicht nur für die Frage, inwieweit ich mit Picasso-Gemälden innerhalb der EU Handel treiben darf. Dieser Grundsatz hat auch in der digitalen Welt zukünftig grundsätzliche Bedeutung, der natürlich auf wettbewerbsrechtliche, urheberrechtliche, netzpolitische und medienregulatorische Entscheidungen Einfluss haben muss. Aus dieser Überlegung heraus wurde die Richtlinie "Fernsehen ohne Grenzen" zu einer "Audiovisuellen Mediendienste-Richtlinie" weiterentwickelt. Da Kulturgüter auch weiterhin Güter eigener Art bleiben werden, halte ich es für geboten, über eine weitsichtige Fortentwicklung der AVMD-Richtlinie nachzudenken, die der weiter voranschreitenden Konvergenz der Technik Rechnung trägt.

Es geriet immer stärker in Vergessenheit, weshalb sich viele europäische Nationen ganz bewusst dazu entschlossen haben, den freien Zugang zu Information, zur Bildung und zur Kultur verfassungsrechtlich abzusichern. Dies erfolgte eben nicht nur aus einem "Nie wieder!"-Denken, sondern aus einer tiefer gehenden Überzeugung:

Freiheit und Demokratie können langfristig nur stabil sein, wenn der Staat jedem einzelnen Bürger Entfaltungsmöglichkeiten bietet, Zugänge ermöglicht, die Vielfalt an Meinungen erlaubt auch wenn sie unbequem sind, Privatheit und private Kommunikation umfassend sicherstellt und jede Form der Unterhaltung dem persönlichen Geschmack überlässt, solange sie nicht die Menschenwürde anderer herabstuft oder andere Güter von Verfassungsrang verletzt. Auch derjenige, der sich in diesem System eher um seinen wirtschaftlichen Erfolg kümmert, was absolut legitim ist, und den weniger so ein freiheitlich-kulturelles Gerede interessiert, wie Sie es von mir gerade zu hören bekommen, muss doch zugeben, dass er sich in den zurückliegenden 60 Jahren unter diesen Grundbedingungen kontinuierlich weiterentwickeln konnte. Aus eigener Kraft und nicht auf Kosten anderer, falls jetzt jemand auf so manchen asiatischen Markt verweisen mag. Das langfristige Vertrauen in einen stabilen Markt basiert auf diesen Entscheidungen für eine Gesellschafts-KULTUR.

Weil wir mit diesen Grundentscheidungen gute Erfahrungen gemacht haben, sind sie trotz des Arguments des globalen Wettbewerbs aus meiner Sicht auch in der digitalen Welt nicht verhandelbar, selbst dann nicht, wenn sich der Wettbewerb verschärft, weil die zu erwartenden Marktpotenziale geringer werden.

Aus diesen grundsätzlichen Überlegungen halte ich prinzipiell nichts von Zugangssperren oder Netzsperren und deshalb bin ich für eine gesetzliche Garantie der Netzneutralität.

Deswegen bin ich überzeugt, dass die Idee der dualen Rundfunkordnung auch in eine konvergente Medienwelt transferiert werden muss. Wenn man eine friedliche Koexistenz von privaten und öffentlich-rechtlichen Mediendiensteanbietern bewahren und sicherstellen will, ist mir durchaus bewusst, dass neu ausjustiert werden muss. Zum Beispiel müssen wir darüber diskutieren, wann, unter welchen Voraussetzungen für welche Angebote es für einen privaten Anbieter einer Lizenz durch eine Aufsichtsbehörde bedarf und unter welchen Konditionen diese erteilt wird. Mir ist klar, dass RTL und Co. in der Klemme sitzen, wenn die einen garantierte Einnahmen haben, sich zugleich die Werbekunden aus den klassischen Medien verabschieden und man an anderer Stelle auf Mitbewerber trifft, die es sich offensiv zu Nutze machen, keiner Lizenzierungspflichtigkeit zu unterliegen, aber Angebote machen, die dem des Rundfunks durchaus vergleichbar sind, z.B. weil sie eine meinungsbildende Funktion ausüben.

Allein wirtschaftlicher Wettbewerb garantiert auch in noch so konvergenten Mediensystemen keine publizistische Vielfalt. Medienkonzentrationsrecht muss sowohl die marktliche als auch die publizistische Vormachtstellung einiger weniger in sich immer stärker überlappenden Marktsegmenten von vornherein wirksam verhindern.

Insbesondere bereitet mir Sorge, dass die fortschreitende Medienkonvergenz und die Entwicklung der Technik die Möglichkeit eröffnet neue Gatekeeper-Positionen zu schaffen, die bei Unternehmen, von denen man es bis dato nicht vermutet hätte, den Wunsch aufkommen lässt, diese Position zu eigenen wirtschaftlichen Vorteil auch zu nutzen. Damit diese nicht indirekt zu einem Entscheider über weitergeleitete Inhalte und damit zu einer Medienmacht aufsteigen, die erfahrungsgemäß nur schwer wieder einzudämmen ist, sollte als ein erster wichtiger Schritt die Interoperabilität und Technologieneutralität von Endgeräten vorgeschrieben werden.

Offene Standards sowie die Interaktivität und Dezentralität des Internets erlauben einen freizügigen Zugriff auf potenziell alle im Netz verfügbaren Informationen und Inhalte. Das mag dem Urheberrecht schmecken oder nicht – Bei allen noch so leidenschaftlich geführten Debatten dürfen wir diese unumkehrbare Tatsache nicht aus den Augen verlieren. Ich bin noch lange keine Piratin, wenn ich feststelle, dass eine strafrechtliche Verfolgung privater Nutzer nichts bringt, sondern, dass damit letztlich die falsche Tür bewacht wird. Die Musikindustrie weiß das. Ich kenne auch keinen Politiker, der ernsthaft eine Gesetzesinitiative zur Abschaffung des Urheberrechts verfolgt. In den letzten Monaten hingegen entwickelte es sich zu einer für mich unangenehmen Daueraufgabe, Gesetzesinitiativen abzuwehren, die die Überwachung des Internets mittelbar oder unmittelbar zur Folge haben. Welchem Urheber ist mit solchen Initiativen geholfen, seine Interessen zu wahren?

Anpassung von Recht dient seiner Bewahrung, nicht seiner Abschaffung. Würden wir alles beim Alten belassen, würden wir das Urheberrecht wissentlich mit einer zunehmenden Legitimationskrise belasten. Dringend geboten ist eine Versachlichung der Debatte über ein Urheberrecht, das den technischen Möglichkeiten der digitalen Welt gerecht wird, ohne dabei gleichzeitig grundsätzliche Freiheitsrechte, wie das Recht auf Privatheit oder das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aufzugeben. Was kann und muss modernes Urheberrecht in einer konvergenten Medienwelt leisten? Das ist die Ausgangsfrage. Die Antwort ist einfach: Es geht um einen fairen und gerechten Interessenausgleich zwischen Urhebern, Verwertern und Nutzern. Neue Akteure, die faktisch in der Wertschöpfungskette hinzugekommen sind, müssen mit einbezogen werden. Angemessene Vergütung der Schöpfer kreativer Inhalte ohne den Zugang zu Informationen zu beschränken – das ist der Konflikt, der
ausgeglichen werden muss. Erfreulich ist, dass die Etablierung mehr und mehr legaler Angebote im Netz durchaus zahlungswillige Nutzer anzieht und deren Nutzerverhalten nicht in die Illegalität treibt. Mich hat an der Debatte immer verwundert, dass große Teile der Inhalteanbieter und Urheber erst sehr spät erkannt haben, dass es sich doch bei denen als Internetkriminelle Gebrandmarkten in den allermeisten Fällen um Fans der Inhalte bzw. der Künstler handelt, von denen nicht alle alles zum Nulltarif haben wollen – was übrigens eine Mentalität ist, die mittels Flatrate-XXL-Verprechungen befeuert wurde. Statt die Nutzer zu verfolgen und zu bestrafen, lassen sie uns lieber überlegen, wie wir effektiver denjenigen das Handwerk legen können, die mit dem geistigen Schaffen anderer, illegal Profite machen.

Auf europäischer Ebene schreiten wir mit einer Modernisierung des Urheberrechts zu zaghaft voran. Alle Pressemitteilungen der letzten Woche zur Verabschiedung der Richtlinie über verwaiste Werke sprachen vom einem "Schritt in die richtige Richtung" – das impliziert gleichzeitig, dass wir noch lange nicht am Ziel sind. Ich bleibe skeptisch, ob wir die Archivproblematik bei audiovisuellen Werken damit gelöst haben. Auch der Richtlinienvorschlag zur kollektiven Rechtewahrnehmung für die online Nutzung von Musikwerken ist ein Schritt in einem Segment. Ich befürworte sektorspezifische Lösungen für die Teilbereiche des Urheberrechts. Aber ich kritisiere zugleich, dass wir insgesamt zu langsam voranschreiten.

Mit der Medienkonvergenz nimmt die Problematik der Weiterverbreitung vor allem audiovisueller Inhalte zu. Es hilft nichts, energisch zuzuwarten oder das Thema erneut in ein Grünbuch zu verschieben. Damit ist keinem Urheber, Verwerter oder Nutzer geholfen. Stattdessen laufen wir Gefahr, alles der normativen Kraft des Faktischen zu überlassen und wir alle wissen, dass es auch für die Politik schwer ist, diese dann noch gesetzgeberisch einzufangen.

Digitale Inhalte durchdringen unmerklich aber stetig und zunehmend unser tägliches Leben. Damit bestimmt der Zugang zu ihnen immer stärker die Teilhabemöglichkeit eines jeden Einzelnen am sozialen und kulturellen Leben in der Gesellschaft. Ich hoffe, dass die hier zugegeben nur angerissenen Überlegungen und die heutigen Diskussionsbeiträge auf den verschiedenen Panels helfen, Entscheidungen für eine moderne, konvergente Medienwelt zu treffen, die dem Menschen dient und ihn nicht bevormundet.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.