Petra Kammerevert, MdEP im Bericht zu Connected-TV: „Konvergenz mit innovativer Regulierung pro-aktiv begleiten“

Berichtsentwurf "Connected TV" im Europäischen Parlament vorgestellt

Petra Kammerevert (SPD), Mitglied des Europäischen Parlaments, Berichterstatterin zu "Connected TV" im Kultur- und Medienausschuss:

Man könnte meinen, beim Hybridfernsehen, Connected TV oder Smart TV ginge es in erster Linie um rein technische Fragen. Im Kern aber geht es um die Verfügbarkeit, Zugänglichkeit und Auffindbarkeit von Medieninhalten sowie um die Frage, ob und wenn ja mit welchem Instrumentarium Medienangebote in einer konvergenten Welt unterschiedlich behandelt werden können.

Medien verfügen über einen Doppelcharakter: Sie sind Waren, vor allem aber Kulturgut und haben eine besondere gesellschaftspolitische Bedeutung. Die Vielfalt der Medien trägt wesentlich zum Funktionieren demokratischer Gesellschaften bei und ist entscheidend für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung. Medien haben Aufklärungs-, Informations,- Unterhaltungs- und Wächterfunktion. Deshalb ist die Medienpolitik in der EU und in den Mitgliedstaaten nicht allein dem Wettbewerbs- oder Wirtschaftsrecht zugeordnet, sondern verfügt über eigenständige Regulierungen, die diesem besonderen Charakter Rechnung tragen. Daran wird die Konvergenz der Technik, die mit dem hybriden Fernsehen ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht, nichts ändern.
Bislang unterliegen lineare Dienste einem engmaschigen Regulierungssystem in der AVMD-RL1. Weil man zu recht nach wie vor linearen Medien einen breiteren Wirkungskreis zumisst, müssen sie sich strengeren ordnungspolitischen Vorgaben unterordnen als andere nicht-lineare Dienste. Diese bislang sinnvolle Differenzierung, die in der abgestuften Regelungsdichte der AVMD-RL ihren Ausdruck findet, stößt im Zuge der Entwicklung des hybriden Fernsehens zunehmend an Grenzen und wirft eine Reihe von Fragen und Problemen auf, die es medienregulatorisch zu lösen gilt. Hier setzt mein nun vorliegender Berichtsentwurf zum "Connected TV"2 an.

Ein hybrides Empfangsgerät verschafft sowohl Zugang zu klassischen Fernsehprogrammen als auch zum Internet. Unabhängig vom technischen Verbreitungsweg ist langfristig eine nahezu vollständige Konvergenz der Medien zu erwarten. Auf ein- und demselben Bildschirm werden Dienste zusammengestellt, die unterschiedlichen Regelungen unterworfen sind.

In der schönen neuen Fernsehwelt sind Angebote klassischer Rundfunkveranstalter, linear wie non-linear, Angebote auf Abruf, WebTV und für das Hybridfernsehen aufbereitete Inhalte und Anwendungen im Ergebnis für den Nutzer nicht mehr über zugewiesene Programmplätze auffindbar, die sich bislang relativ leicht vom Nutzer selbst ändern lassen, sondern über eine Art Startseite. Die Fülle der angebotenen Inhalte lässt die Auffindbarkeit und den diskriminierungsfreien Zugang zu Inhalten zu einer der zentralen Fragen des hybriden Fernsehens werden. Derjenige, der eine Plattform oder ein Portal anbietet, kann eine Vorauswahl darüber treffen, welche Angebote verfügbar sind und vor allem, ob und in welcher Weise sie priorisiert sind und er entscheidet allein über die Technologie, mit der dies realisiert wird. Im Ergebnis kontrolliert damit der Plattformanbieter, Portalbetreiber oder der Gerätehersteller (alle drei Funktionen können durch ein- und dasselbe Unternehmen kumuliert wahrgenommen werden) den Zugang zu meinungsrelevanten Inhalten. Damit erlangen sie eine Gatekeeperposition in bislang ungekanntem Ausmaß, die zurzeit von keiner Medienregulierung erfasst wird. Es erscheint daher zwingend notwendig, vor allem die AVMD-RL an diese neuen Gegebenheiten anzupassen, da es ansonsten zu einer Gefährdung der Meinungs- und Angebotsvielfalt sowie der Informationsfreiheit kommen kann. Eine zu starke Stellung der Gerätehersteller und Plattformbetreiber kann auch für eine weitere, rasche Marktentwicklung von Hybridangeboten hinderlich sein, da sie die marktlichen und technologischen Konditionen bestimmen, nach denen ein Angebot zugänglich ist. Ein freier und fairer Wettbewerb der Dienste und Angebote ist aber nur auf der Basis einheitlicher Wettbewerbsbedingungen, hier also eines einheitlichen technologischen, offenen und an den Marktbedürfnissen orientierten interoperablen Systems, sowohl mit Blick auf den Providermarkt (Kabelnetze, PayTV, IPTV) als auch auf den Endgerätemarkt möglich.

Die Sicherstellung der Auffindbarkeit und Zugänglichkeit von Angeboten wird sich zur zentralen Frage der Vielfaltsicherung entwickeln. Daten werden unabhängig von ihrer Art, als Text, Bewegtbild oder Ton (oder als Kombination hiervon) in bester Qualität jederzeit verfügbar sein. Dem Nutzer ist zunehmend gleichgültig, auf welchem technischen Weg ihn ein Inhalt erreicht. Er kann ihn orts- und zeitunabhängig nutzen, wenngleich er (teilweise unbewusst) je nach Anbieter unterschiedliche Erwartungen an die Qualität des Inhalts und an die Qualität der Präsentation legt.

Entsprechend ist das bisherige System der AVMD-RL fortzuentwickeln. Eine moderne Medienregulierung muss angemessen nachvollziehen, dass sich die Knappheit nicht mehr wie früher auf Übertragungswege, sondern auf die Orte der Auffindbarkeit bezieht. Anderenfalls wird sie ihre Gestaltungsmacht einbüßen.

Bestehende „Must-Carry-Regelungen“ müssen durch „Must-be-found-Regelungen" ergänzt werden. Denjenigen Inhalteanbietern sollte eine angemessene Vorrangstellung bei der Auffindbarkeit auf hybriden Plattformen (einschließlich Portalen, Startseiten und EPGs) eingeräumt werden, denen die Mitgliedstaaten entweder einen öffentlichen Auftrag zuweisen oder die einen Beitrag zur Förderung von Zielen im allgemeinen Interesse, wie der Sicherung des Medienpluralismus und der kulturellen Vielfalt leisten oder sich selbst Pflichten auferlegen, die der Qualität und Unabhängigkeit der Berichterstattung sowie der Förderung der Meinungsvielfalt dienlich sind. Wer also den strengeren Regeln für lineare und non-lineare Mediendienste der AVMD-Richtlinie unterworfen ist oder sich diesen freiwillig unterstellt, soll die Möglichkeit eines prominenteren Platzes auf Plattformen erhalten. Nachgedacht werden sollte außerdem über neue Formen von Anreizsystemen.

Es ist auf angemessene Kräfteverhältnisse der Marktbeteiligten, speziell zwischen Portalbetreiber und Inhalteanbieter hinzuwirken, insbesondere im Fall integrierter Angebote. Entsprechend muss die Frage diskutiert werden, ob quantitative Werbebe­schränkungen der AVMD-RL so noch sinnvoll sind. Lineare Angebote unterliegen strengen qualitativen wie quantitativen Werbevorschriften. Insbesondere private Veranstalter sind auf Werbeeinnahmen angewiesen um Qualitätsprogramm liefern zu können. Internetangebote unterliegen diesen Regeln nicht und haben so einen Wettbewerbsvorteil. Der war bislang verkraftbar, weil die Systeme relativ voneinander getrennt waren. Das ändert sich jetzt und wir müssen dafür Sorge tragen, dass im Sinne der Vielfaltssicherung hier nicht eine Seite ins Hintertreffen gerät. Geschieht dies nicht in der Zeit und ist man hier nicht zu verstärkter Ko- und Selbstregulierung bereit, wird man in einer konvergenten Welt kaum das hohe Schutzniveau halten können, wie wir es von linearen Diensten kennen und das mit dem hohen Vertrauen korrespondiert, das diese nach wie vor beim Publikum haben.

Die neuen technischen Möglichkeiten des Hybridfernsehens machen es außerdem erforderlich, die Integrität der Inhalte zu schützen. Die Überblendung von Angeboten mit Drittinhalten ist zu untersagen, soweit diese nicht vom Inhalteanbieter autorisiert und vom Nutzer ausdrücklich initiiert wurde.

Hybrides Fernsehen berührt auch datenschutzrechtliche Belange. Diese müssen sowohl bei der Entwicklung von Hybridgeräten als auch den im Gerät vorgesehenen Standardeinstellungen berücksichtigt werden und betreffen insbesondere den Grundsatz der Datensparsamkeit, der Verhältnismäßigkeit und der Zweckbindung. Personenbezogenen Daten dürfen ohne ausdrückliche Einwilligung des Nutzers nur erhoben und genutzt werden, soweit diese erforderlich sind, um die Inanspruchnahme eines Angebots zu ermöglichen und abzurechnen.

Die anonyme Mediennutzung muss auch künftig unproblematisch möglich sein und als Regelfall angesehen werden. Eine Analyse des Nutzerverhaltens und die Bildung eines Nutzerprofils unter Verwendung vollständiger IP-Adressen (inkl. einer Geo-Lokalisierung) darf nur mit bewusster, eindeutiger Einwilligung des Nutzers erfolgen. Dies ist gesetzlich abzusichern.

Schließlich wird auch die Sinnhaftigkeit der "3-Stufen Tests" für Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Anstalten zu hinterfragen sein, der in Deutschland ausufernder geregelt ist, als dies die entsprechende Rundfunkmitteilung der Kommission3 vorgibt. Je weniger es Nutzer audiovisueller Angebote interessiert, woher ein Inhalt technisch kommt und je mehr sie erwarten, dass entsprechende Inhalte, die sie zudem über einen Rundfunkbeitrag bereits bezahlt haben, jederzeit und überall abrufbar sind desto unsinniger erscheinen kostenintensiven Prüfverfahren. Niemanden interessiert es, ob er einen "Mediendienst auf Abruf" oder ein lineares Angebot in Anspruch nimmt oder nicht. Schon heute ist Nutzern und Beitragszahlern eine "Verweildauerfrist" für Angebote auf Abruf nicht vermittelbar.

Insgesamt ist zügiges regulatorisches medienpolitisches Handeln angesagt, damit wir nicht von den Entwicklungen überrollt werden, die sich dann kaum noch regulieren lassen. Der Bericht im EP will hierzu die entsprechenden Pflöcke einschlagen und Grundsätze festschreiben, an denen medienpolitisches Handeln sich orientieren soll.

Quelle: www.medienpolitik.net