
Medienpolitik im Europäischen Parlament – ein Ausblick
Die Tatsache, dass wir eine Legislatur im Europäischen Parlament hinter uns haben, in der sich in der EU-Kommission eine neue Generaldirektion "Digitale Agenda" etabliert hat, zeigt, dass Medien zunehmend an gesellschaftlicher, aber auch wirtschaftlicher Bedeutung gewinnen. Dabei hießen die "hot-spots" der europäischen Medienpolitik der vergangenen fünf Jahre stichwortartig: Technologie- und Netzneutralität, Vielfaltssicherung, Funkfrequenzen, Breitbandausbau, Datenschutz, Kinder- und Jugendmedienschutz sowie Urheberrecht.
All diese Themen werden uns auch in der kommenden Wahlperiode, wenn auch vermutlich im immer neuen Gewand, beschäftigen.
Das Internet wird in den kommenden fünf Jahren EU-weit nahezu flächendeckend vorhanden sein sowie zunehmend orts- und zeitunabhängig auf den unterschiedlichsten Endgeräten zur Verfügung stehen. Mit der Digitalisierung geht eine Mediatisierung aller Lebensbereiche einher: Medien werden vor allem online insgesamt weiter an Einfluss und Bedeutung gewinnen und tief in verschiedene Lebensbereiche eindringen. Es könnte sein, dass wir sehr bald an einer Schwelle zum "Web 3.0" stehen, das in der Lage sein wird, digital gespeicherte Informationen nach personalisierten Bedürfnissen automatisch aufzubereiten und zwar unabhängig davon, ob wir das selber wollen oder ob andere für uns entscheiden, was gut für uns ist und was uns interessieren könnte. Politisch wird uns dabei die Auseinandersetzung um Möglichkeiten und Gefahren, vor allem zu den genannten Stichworten, in einer neuen Schärfe begegnen. Bis vor kurzem glaubten wir noch, der Begriff der digitalen Revolution sei zu hoch gegriffen, inzwischen ahnen wir, dass die damit verbundenen Umwälzungen ähnliche Dimensionen annehmen wie seinerzeit die industrielle Revolution.
Zwangsläufig werden wir auf europäischer Ebene Medien- und Telekommunikationsregulierung stärker miteinander verknüpfen müssen. In den nächsten Jahren werden wir unwiderruflich zu entscheiden haben, ob wir an einer eigenständigen Medienregulierung festhalten, die auch gesellschaftspolitische und vielfaltssichernde Fragestellungen berücksichtigt, ober ob wir Medien zunehmend als Ware betrachten, die allein unter Gewinnmaximierungsgesichtspunkten betrachtet wird und somit allein dem Wettbewerbsrecht und der Binnenmarktgesetzgebung unterliegt. Die Eckpfeiler, was wir von dieser Regulierung erwarten, haben wir im für Medien zuständigen Kulturausschuss in dieser Legislatur, unter anderem mit meinem Bericht zum Vernetzten Fernsehen , gesetzt. Es kommt darauf an, dass wir im Zuge einer Revision der audiovisuellen Mediendiensterichtlinie den Begriff des "Mediendienstes" zukunftsfest machen, am besten für Presse und Rundfunk gleichermaßen. Ich bin überzeugt, dass er die Brücke und zugleich die Überlebensgarantie für die klassischen Medien in der Welt der online-Inhalte darstellt. Zum einen wird es online einen verstärkten Bedarf geben, Informationen journalistisch aufzubereiten, sie professionell einzuordnen und zu gewichten. Zum anderen bedarf es gesellschaftspolitisch dieser orientierungsgebenden Funktion des Journalismus, egal, ob in Schrift, Ton, Bewegtbild oder einer Kombination aus allem. Indem wir generell "journalistisch-redaktionell aufbereiteten Mediendiensten" eine besondere Rolle zubilligen und folgerichtig Anreizmodelle für dessen Schutz schaffen, können wir dem Qualitätsjournalismus die notwendige Überlebenschance in der online-Welt bieten und zugleich für fairen Wettbewerb sorgen.
In diesem Zusammenhang musste immer wieder gegen ein Missverständnis angekämpft werden: Die Auffindbarkeit von Inhalten steht nicht im Widerspruch zu einer Netz- und Technologieneutralität. Es geht technisch um zwei völlig verschiedene Fragen. Netz- und Technologieneutralität sollen sicherstellen, dass sich Infrastruktur und Verbreitungstechnologien neutral zu den verbreiteten Daten verhalten, damit grundsätzlich jeder Inhalt auch potenziell jeden (in welchen Kommunikationsnetzen auch immer) erreichen kann. Hier konnten wir jüngst mit der gesetzlichen Absicherung der Netzneutralität durch das Europäische Parlament einen Teilerfolg erzielen, von dem wir hoffen, dass er die weiteren Verhandlungen zur Verordnung über einen Digitalen Binnenmarkt überlebt.
Davon zu unterscheiden ist aber die Frage, wie denn die (dann schon durchgeleiteten) Inhalte abgebildet werden. Letzteres betrifft die Diskussion um Googles Suchalgorithmus genauso wie die Frage, was an welcher Stelle auf dem "first screen" eines SmartTV abgebildet wird. Ich bedauere außerordentlich, dass die EU-Kommission bislang nicht gewagt hat, ein Wettbewerbsverfahren gegen Google wegen der offenbaren Bevorzugung eigener Angebote einzuleiten und diesem Ausnutzen einer dominanten Marktstellung ein Ende zu bereiten. Nettes Verhandeln wird hier für die Allgemeinheit keine befriedigenden Ergebnisse erzeugen. War man im Fall Microsoft noch zu radikalen Lösungen bereit, zeigt sich die Kommission im Fall Google ausgesprochen hasenfüßig und lässt sich auf Kompromisse ein, die sich bei nähere Betrachtung als faul herausstellen. Dieses Fehlverhalten der EU-Kommission wirkt aber weit über Google hinaus: Mir nutzt am Ende die schönste neutrale Durchleitung nur wenig, wenn danach eine private Suchmaschine intransparent entscheidet, was als erste Treffer präsentiert wird oder der Fernsehgerätehersteller selbst bestimmt, welche Apps per Voreinstellung auf dem "first screen" zu finden sind. Mir sind transparente, parlamentarisch diskutierte und dann mehrheitlich akzeptierte Parameter für eine Auffindbarkeit in Voreinstellungen lieber. Unbestritten ist dabei, dass jeder die Möglichkeit haben muss, diese Parameter nach den eigenen Interessen neu zu konfigurieren – und zwar so einfach wie möglich. Um es vorwegzunehmen: Geld kann man auch unter diesen Vorgaben verdienen; Gier wird dabei aber in ihre Schranken verwiesen.
Die weitere große Baustelle, die in der nächsten Legislatur auf uns wartet ist eine grundsätzliche Revision des Urheberrechts, das dieses für das digitale Zeitalter anwendbar hält und dabei einen fairen Interessenausgleich zwischen Urhebern und Nutzern findet. Erste Ansätze haben wir in den letzten fünf Jahren im Bereich der verwaisten Werke, der Regulierung für Verwertungsgesellschaften und im Bereich der Online-Musik auf den Weg gebracht. Dies bleibt aber Stückwerk und vom großen Wurf, den wir eigentlich alle von der Kommission in diesem Bereich erwartet haben, sind wir nach wie vor weit entfernt. Aufschlüsse darüber, in welche Richtung die Kommission denkt, wird möglicherweise das für Juni angekündigte Weißbuch zum Urheberrecht liefern. Dabei ist klar: die Öffentlichkeit ist hier hochgradig sensibilisiert. Dies haben nicht zuletzt die verbitterten Auseinandersetzungen zwischen Urhebern und Nutzern vor gut zwei Jahren gezeigt, die schon fast den Charakter von Grabenkämpfen angenommen hatten. Ein Urheberrecht, das nicht gleichermaßen beide Pole angemessen berücksichtigt, wird gesellschaftlich nicht durchsetzbar sein.
Last but not least wird sich das Europäische Parlament für seine eigene Beratungsstruktur Gedanken darüber machen müssen, ob sie der Kommission, die in den vergangenen fünf Jahren mit einer eigenen Kommissarin für die digitale Agenda und einer hochrangig in der Kommission angesiedelten Generaldirektion endlich einen eigenen „Ausschuss für die digitales Leben“ entgegensetzt, in dem alle Zuständigkeiten für Medien, Telekommunikation und Urheberrecht gebündelt sind. Ein Ausschuss, in dem alle diese Kompetenzen zusammengefasst sind, würde es der Kommission unmöglich machen, die verschiedenen Ausschüsse gegeneinander auszuspielen. Bei entsprechender parlamentarischer Zusammensetzung würde zudem die Möglichkeit eröffnet, medien-, gesellschaftspolitische und vielfaltssichernde Aspekte gleichberechtigt mit wirtschaftlichen und wettbewerbsrechtlichen Fragestellungen zu behandeln, während bislang der Kulturausschuss für das „Gute, Schöne und Wahre“ zuständig war und andere Ausschüsse für die „harten“ wirtschaftlichen Interessen, denen im Zweifel wegen der federführenden Zuständigkeit immer der Vorzug gegeben wurde. Wenn wir in der Fortentwicklung der digitalen Welt keinen Demokratieverlust erleiden wollen, wird es höchste Zeit, diese Themen auch parlamentarisch "in einem Guss" zu reflektieren.
Es liegt also viel Arbeit vor uns, die zügig zu erledigen ist, damit uns nicht am Ende die Realität wieder einmal eingeholt und schlimmstenfalls überholt hat.