
Statement von Petra KAMMEREVERT beim Fachforum Europa im Rahmen des 15. Deutschen Jugendhilfetages am 4. Juni 2014 in Berlin
Sehr geehrte Damen und Herren,
zu diesem Zeitpunkt über das Förderprogramm ERASMUS + und das in ihm enthaltene Kapitel "Jugend" zu reden ist für mich als Europaabgeordnete ein Wagnis.
Die noch bis Oktober 2014 laufende "Launching Tour", organisiert von der deutschen Nationalagentur "Jugend für Europa" ist noch in vollem Gange. Hier wird die neue Programmstruktur potenziellen Zuwendungsempfängern erläutert. Natürlich überwiegen am Anfang die Bedenken und die Vorbehalte gegen die teilweise tief gehenden Veränderungen im Programm. Und ich bin realistisch genug, dass ich nicht wenige Monate nach dem Programmstart vor Sie treten und sagen kann, dass alles ganz wunderbar ist.
Dennoch gehe ich das Wagnis gern ein, weil ich grundsätzlich davon überzeugt bin, dass sich der bisherige Erfolg von "Jugend in Aktion" fortsetzen lässt, vorausgesetzt man geht es richtig an. Dazu gehört sicherlich auch, dass ich Ihnen gleich genau zuhören werde und Ihre Einschätzung darüber, wo es noch hakt, aber auch wo es aus Ihrer Sicht Verbesserungen gegenüber dem alten Programm gibt, um dieses Wissen dann gebündelt nach Brüssel zu tragen.
Rückblickend lässt sich schon jetzt sagen, dass es politisch richtig war, die europäischen Programme, die mit Bildung, Aus- und Weiterbildung sowie Jugend- und Sportförderung vor allem junge Menschen im Blick haben, in einem Programm zu bündeln. Nur so konnte die Erhöhung der Mittel für das Gesamtprogramm und für seine Teilbereiche erreicht werden. Ich verteidige nur selten die Kommission. Hier war die vor den Finanzverhandlungen sowohl innerhalb der Kommission wie auch mit dem Rat bestehende Vermutung der zuständigen Kommissarin und ihres Teams richtig, dass man nur "einen Schuss" frei hat, um mehr Geld zu bekommen, bzw. zumindest die bisherigen Mittel zu sichern. Einen Mittelaufwuchs für jedes einzelne Programm, wie "Jugend in Aktion", "Erasmus", Leonardo oder Grundtvig aus den Verhandlungen zu tragen, war von vornherein aussichtslos.
Es ist meines Erachtens auch dringend geboten, das Klagen darüber einzustellen, man werde mit "Jugend in Aktion" gegenüber anderen Programmteilen unter dem Dach ERASMUS+ ins Hintertreffen geraten und an Eigenständigkeit verlieren. Ich möchte an dieser Stelle auch nochmal daran erinnern, dass es der Ausschuss für Kultur und Bildung des EP war, der sich von Anbeginn der Beratungen dafür eingesetzt hat, daß die Förderung des Jugendaustauschs im non-formalen Bereich ein eigenständiges Kapitel im Gesamtprogramm braucht. Gemeinsam mit dem Rat ist es uns gelungen, dies gegenüber der Kommission durchzusetzen, die sich lange dagegen gewehrt hat, am Ende aber doch überzeugt werden konnte. Die Tatsache, dass sich auch Deutschland im Rat von Anfang an für ein eigenes Jugendkapitel ausgesprochen hat, war da durchaus hilfreich.
Die Grundstruktur dieses Programms steht nun grundsätzlich für die nächsten sieben Jahre. Feinjustierungen und Nachbesserungen können gegebenenfalls zum Zeitpunkt einer Revision Anfang 2016 vorgenommen werden und, wie gesagt, ich sauge gern Kritik und Anregungen auf.
Ich weiß aber auch, dass es derzeit unwahrscheinlich ist, dass man die jetzt in die Verordnung gegossene neue Architektur nochmals während der Programmlaufzeit umkrempelt. Wir sollten uns hier nicht verkämpfen, sondern vielmehr gemeinsam daran arbeiten, den Programmteil "Jugend" im Gesamtprogramm so unverzichtbar mit anderen Erasmus+-Bereichen zu vernetzen, dass ein auf Gegenseitigkeit beruhendes Existenzinteresse bei allen entsteht. Diese Verschränkung und die Möglichkeiten der Durchlässigkeit waren von uns politisch ausdrücklich gewollt. Schöpfen Sie die Möglichkeiten der sogenannten "Strategischen Partnerschaften" nicht nur geografisch aus!
Zutreffend ist die Kritik, dass bei diesen Partnerschaften nicht sachgerecht erklärbar ist, warum diese eigentlich im Jugendbereich 2 Jahre, in allen anderen Bereichen aber 3 Jahre dauern sollen – ich verspreche an dieser Stelle selbst nachzuhaken, meines Wissens soll es aber hier auch eine Angleichung geben.
Wir haben bei der Debatte um den Verordnungstext an vielerlei Stellen bewusst allgemeine Formulierungen oder Worte gewählt, die für genau diese Flexibilität und für Kombinationsmöglichkeiten Raum geben sollen – sehen Sie dies bitte nicht als Gefahr, sondern nehmen Sie vermeintliche Konkurrenten als potentielle Partner an, die im Kern das gleiche Ziel verfolgen: Horizonte in jungen Köpfen zu erweitern.
Und haben Sie den Mut, den Gestaltungsspielraum auszutesten. Lieber die Grenzen und Möglichkeiten eines neuen Programms ausloten, als vor Demut gegenüber Mitbewerbern in Schockstarre zu verfallen. Das hat "Jugend in Aktion" nicht nötig – es wurde in den vergangenen Jahren Wunderbares mit dem Programm geleistet und ich kann Ihnen den parlamentarischen Rückhalt für Ihr weiteresTun versichern.
Ich weiß auch, dass die Einführung der zentralen Registrierungsnummer sowie das Online-Antragsverfahren vielerorts für Verwirrung gesorgt hat. Ich hoffe, dass alles sind nur Kinderkrankheiten, die sich schnell und pragmatisch ausmerzen lassen. Sie abzustellen ist Aufgabe eines sachgerechten Programm-Managements, vor allem auf europäischer Ebene. Mir wird zugetragen, dass hier, höflich ausgedrückt, noch reichlich Optimierungspotenzial vorhanden ist. Deshalb beabsichtige ich schon bei der anstehenden Befragung der künftigen Kommissare auf dieses Problem hinzuweisen und anzufragen, mittels welcher konkreten Maßnahmen ein effizientes Programm-Management gewährleistet werden soll. Man sollte hier jedenfalls nicht in detailverliebte Regelungswut verfallen.
Ich werde jedenfalls nicht tatenlos zuzusehen, wie der in der Verordnung parlamentarisch erkämpfte Raum zum Atmen verwaltungstechnisch wieder genommen wird.
Keinesfalls beabsichtigt ist, dass öffentliche Geldgeber der Jugendarbeit und Jugendhilfe insgesamt, seien es Kommunen, Land oder Bund in Deutschland, mit Verweis auf ein finanziell besser ausgestattetes europäisches Programm nun meinen, sie könnten ihre Ausgaben in diesen Bereichen zurückfahren. Mitnichten. Das Programm wurde bewusst europäisiert. Die Förderung wurde fokussiert auf den europäischen, den transnationalen Mehrwert. Damit sind auch lieb gewordene und gute, aber eben nationale Jugendinitiativen aus der Förderung gefallen. Transnationale Jugendinitiativen hingegen sind ausdrücklich gewollt. Diese Fokussierung auf europäische Initiativen war kein Betriebsunfall. Nationale Initiativen sind und bleiben nationale Aufgabe – auch ohne europäisches Geld soll es sie weiter geben und sie sind nach wie vor wichtig. Die Hausaufgaben müssen wir aber in Deutschland selbst erledigen – Brüssel ist hier definitiv der falsche Sündenbock.
Auch richtig ist, dass die Verwaltungsbudgets klein sind. Wir wollten sie ganz bewusst im Zaum halten. Gleichwohl müssen wir verstärkt und gerade in der Anfangsphase darauf achten, dass wichtige Projekte nicht daran scheitern, dass durch einen (relativ kleinen) Posten für Verwaltungs- und Koordinierungsaufgaben die Projekte nicht mehr stemmbar sind. Ich glaube, hier wird vorerst der neuralgischste Punkt bei der Programmumsetzung liegen. Struktursicherung gegen ein Budget für Veranstaltungen konkurrieren zu lassen, kann nicht zielführend sein. Es muss an dieser Stelle aber auch an die Mitarbeit der Mitgliedstaaten appelliert werden: "Macht mal schön Euer Programm, Extras on Top gibt es nicht" ist auch dort die falsche Herangehensweise. Ja, Koordinierung größerer Projekte ist aufwendig und kostet Geld, es schmückt aber eben auch die Mitgliedstaaten, sich entsprechender Aufgaben anzunehmen, gerade dann, wenn es ihnen gut geht- und sie haben auch was davon: besser ausgebildete junge Menschen in jedem Falle. Der Output aus "Jugend in Aktion " war schon immer weit mehr als "nice to have" und wird es auch bleiben! In dem Wissen sollten auch die Mitgliedstaaten die Programmumsetzung zusätzlich unterstützen und nicht unnötig verkomplizieren.
Sicherlich jugendpolitisch falsch ist eine schlechtere finanzielle Ausstattung für Projekte zum Strukturierten Dialog im Bereich Jugend. Es passt nicht zusammen, einerseits Teilhabe junger Menschen zu fordern und andererseits die Mittel für die Organisation dieser Teilhabe zurückzufahren. Gerade jetzt hat der strukturierte Dialog mit der jüngsten Ratsentschließung Ende Mai1 nochmals an Bedeutung gewonnen, vor allem weil eine wichtige Brücke geschlagen wird: Soziale Inklusion kann gelingen durch lebenslanges Lernen, der besseren Verknüpfung informellen und nicht formalen Lernens und ragt auch in den ab 1. Juli 2014 geltenden neuen Schwerpunkt des Strukturierten Dialogs, nämlich "Befähigung der Jugend" hinein.
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang aber eine Bemerkung. Jugendpolitik insgesamt und Jugendpolitiker müssen wachsam bleiben. Gerade auf europäischer Ebene ist ein Trend hin zur Ökonomisierung aller Lebensbereiche zu beobachten. Frei nach dem nach dem Motto "erlaubt ist nur, was Wohlstand sichert und Arbeitsplätze schafft". Diesem Ziel wird dann alles untergeordnet. Jugendpolitik aber ist vielfältig und nicht nur schwarz oder weiß. Jugend-, Bildungs- oder Kulturförderung folgen jeweils ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten, die man respektieren muss, wenn die Förderung erfolgreich sein soll.
Erasmus+ ist alles andere als ein Beschäftigungsprogramm für junge Menschen. Es ist mitnichten ein Programm zur Bewältigung politischer oder wirtschaftlicher Krisen. Dafür war und ist es nicht gedacht. Es kann nicht, vor allem nicht mit den dann doch relativ überschaubaren Mitteln, das gerade biegen, was anderenorts versäumt worden ist.
Es entsteht neuer politischer Sprengstoff, wenn man Förderinstrumente mit Erwartungen überfrachtet, die sie von vornherein nicht erfüllen können. Wäre Krisenbewältigung Ziel und Zweck des Programms gewesen, hätten wir uns sowohl die Debatte zur Zieldefinition für Erasmus+ insgesamt und gerade die besondere Zieldefinition im eigenen Kapitel Jugend sparen können. Politiker und Zuwendungsempfänger müssen beständig darauf bestehen, dass es um die in der Verordnung niedergelegten Ziele geht. Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Genau das, was dort, orientiert am Eigenwert von Jugendarbeit- und Jugendhilfe niedergelegt ist, soll umgesetzt werden. Und vor allem darf man sich hier nicht durch Verwaltungsvorschriften schrittweise die Butter vom Brot nehmen lassen! Bildungs- und Jugendarbeit wohnt ein Eigenwert inne, der nicht allein unter Beschäftigungsfähigkeit subsumiert werden darf.
Insoweit muss auch der jüngst verabschiedete Arbeitsplan für die Jugend 2014 / 20152 kritisch hinterfragt werden. Viel zu stark wird hier die Jugendarbeit und Jugendhilfe als Instrument zur Bewältigung der Krise betrachtet. Eine solche Politik wird weder der Krise noch der Jugendarbeit auch nur annähernd gerecht. Sein Sie so selbstbewusst und lassen Sie sich nicht zu Zuträgern der Krisenbewältigung umformen!
Ich bin nach wie vor optimistisch, dass sich mit dem neuen "Jugend in Aktion" unter dem Dach ERASMUS+ wirklich großartige Ideen, Projekte, Netzwerke und Partnerschaften realisieren lassen.
Ich freue mich auf eine lebhafte Diskussion mit Ihnen, wie wir die hoffentlich nur am Beginn der Programmumsetzung bestehenden Schwierigkeiten gemeinsam aus der Welt schaffen können und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.