
Liebe Gäste,
Sie vermuten sicherlich, dass ich jetzt Erwartbares vortrage, getragen von den Stichworten „reiches kulturelles Erbe“, „Vielfalt“, „Kultur als verbindendes Element“ und „europäische Identität“ – alles wunderbare Begrifflichkeiten. Dass wir das vielfältige europäische kulturelle Erbe erhalten, Vielfalt fördern und Kultur als auch als verbindendes Element begreifen sollten, das steht wohl für alle außer Frage! Kultur ist und bleibt ein Bestandteil europäischer Integration.
Jedoch sollten wir die Idee der "europäischen Identität" spätestens seit der letzten Europawahl etwas nüchterner betrachten. Es wäre gefährlich zu glauben, die EU gibt Künstlerinnen und Künstlern und der Kultur insgesamt Geld, damit diese uns eine schöne europäische Identität basteln, bestellt wie die Anfertigung einer Skulptur, die populär Massen begeistern könnte. Vielleicht gibt es eines Tages eine solche europäische Identität und ich bin auch davon überzeugt, dass es wichtig ist, weiter an ihr zu arbeiten – wir dürfen aber nicht versuchen sie zu erzwingen. Europäische Identität lässt sich nicht von oben verordnen. Vielmehr sprechen wir von einem gesellschaftlichen Entwicklungsprozess, der vermutlich mehrere Jahrzehnte dauern und sicher auch immer wieder von Rückschlägen begleitet wird. Die derzeit in vielen Mitgliedstaaten zu beobachtenden Rückfälle in nationale Egoismen geben hiervon ein beredtes Zeugnis ab, mit denen es umzugehen gilt.
Wer von der europäischen Kulturförderung also unmittelbar die Herausbildung einer solchen "europäischen Identität" erwartet, muss letztlich enttäuscht werden und begeht zudem einen schweren Fehler: Er überantwortet der Kultur eine Aufgabe, die sie nicht leisten kann, weil es nicht ihre primäre Aufgabe ist, ein Objekt oder einen Bezugspunkt zu schaffen, mit dem sich jeder gleichermaßen identifizieren kann. Kultur und Homogenität passen schlicht nicht wirklich zusammen. Es gibt einen zweiten Trend, der immer wieder neu austariert und neu herausgestellt werden muss: Kulturförderung darf nicht mit Wirtschaftsförderung gleichgesetzt werden. Vor allem dann nicht, wenn es um die Förderung der Kreativwirtschaft geht.
Natürlich bin ich mir bewusst darüber, dass der im EU-Programm "Kreatives Europa" erfolgreich durchgesetzte Mittelzuwachs nur zustande kommen konnte, weil damit argumentiert wurde, die Kulturförderung leiste einen Beitrag zur Umsetzung der Wachstumsstrategie „Europa 2020“, deren vorrangiges Ziel ein „intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“ ist. Dennoch ist diese Argumentation bei der Bildungs- Jugend und auch Kulturförderung immer auch ein Spiel mit dem Feuer. Auf keinen Fall darf sie dazu führen, dass man Kulturförderung verkürzt als "dem Wachstum dienend" betrachtet. Man muss den Mut haben, Kultur um ihrer selbst willen zu fördern – auch im unbedingten Vertrauen zu den Akteurinnen und Akteuren der Kultur- und Kreativbranche und im Wissen darum, dass Kultur nicht die Sahne auf dem Kuchen ist, sondern die Hefe im Teig – wie Johannes Rau einmal sehr treffend bemerkte.
Neben der kulturellen Vielfalt und dem Erhalt des kulturellen Erbes soll das Programm „Creative Europa“ auch die Förderung der "Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Kreativbranche" zum Ziel haben. Soweit so gut: Kunst und Kultur sind aber nicht erst dann förderwürdig, wenn sie für ökonomische, soziale oder politische Zwecke nützlich sind. Die Freiheit von Kunst und Kultur hat in Deutschland Verfassungsrang. Sie ist für sozialdemokratische Kulturpolitik ein hohes Gut, das es auch unter den Bedingungen einer zunehmenden Ökonomisierung aller Lebensbereiche zu verteidigen gilt.
Will man dem auch im kulturpolitischen Handelns gerecht werden, bedarf es meines Erachtens einer sehr strengen Orientierung an der Doppelnatur kultureller Güter und Dienstleistungen, bei der der wirtschaftliche Wert niemals über den kulturellen Gehalt gestellt werden sollte. Erliegt man der Verlockung, sich kurzfristig Zeit den monetären Vorteil kultureller Güter oder Dienstleistungen zu eigen zu machen, bin ich davon überzeugt, dass man mittel- und langfristig die Kreativität, die zugleich die Quelle dieses wirtschaftlichen Erfolges ist, abtötet.
Mit der seit Januar 2014 laufenden Neuauflage der EU-Kulturförderung hat man sich noch stärker von einer Verspartung der Förderung gelöst. Während man in den neunziger Jahren beispielsweise noch zwischen der Förderung der Darstellenden Kunst mit dem ARIANE-Programm und des Kulturerbes durch "RAFFAEL" unterschied, hat man nun die vorherigen Programme "KULTUR" , "MEDIA" und "MEDIA MUNDUS" in einem Programm zusammengeführt. Das Programm "Kreatives Europa" hat eine Laufzeit von sieben Jahren und ist insgesamt mit knapp 1,5 Milliarden Euro für alle 28 Mitgliedstaaten ausgestattet. Bricht man diese Summe auf Jahre und Mitgliedstaaten herunter, wünscht man sich sofort mehr Geld – dennoch sind wir stolz darauf, dass insgesamt ein Mittelzuwachs erreicht werden konnte, auch wenn dieser die Bereiche Kultur und Medien unterschiedlich gut erreicht.
Besonders an der Neustrukturierung ist, dass die Förderung vor allem von der Erreichung von Einzelzielen abhängig gemacht wird und zwar unabhängig davon, ob man etwas im Medien oder im klassischen Kulturbereich fördern möchte. Die sechs Einzelziele sind:
1. die Fähigkeit der europäischen Kultur- und Kreativbranche zum länderübergreifenden und internationalen Arbeiten zu unterstützen,
2. die grenzüberschreitende Verbreitung kultureller und kreativer Werke sowie
3. die Förderung länderübergreifender Mobilität der Künstlerinnen und Künstler
4. sollen neue und breitere Publikumsschichten erschlossen und der Zugang zu kulturellen und kreativen Werken innerhalb der EU und darüber hinaus verbessert werden, wobei ein besonderes Augenmerk auf junge Menschen und Menschen mit Behinderungen gelegt wird.
5. Soll die Kapitalkraft kleiner und mittlerer Unternehmen, ausdrücklich inklusive Kleinstorganisationen der Kultur- und Kreativbranche in nachhaltiger Weise gestärkt werden. Und
6. schließlich gilt es, die Entwicklung politischer Konzepte, Innovation, Kreativität, die Erschließung neuer Publikumsschichten und neue Geschäftsmodelle durch die Unterstützung länderübergreifender politischer Zusammenarbeit zu fördern.
Orientiert an diesen Zielen wurden dann erst im zweiten Schritt für die Bereiche Kultur und Media jeweils Prioritäten und Maßnahmebereiche herausgearbeitet.
Sehr viel stärker als bisher wird bei der Förderung auf einen "europäischen Mehrwert" geachtet werden. Dies soll sicherlich auch einer stärkeren Abgrenzung zur notwendigen Kulturförderung auf anderen Ebenen dienen. Mit Sorge beobachten wir einen Trend, dass europäisch und national zwar die Förderbudgets wachsen, während sie regional und kommunal abschmelzen. Diesen Trend gibt es nicht nur in Deutschland. Ich weiß, dass er seine Ursache in der häufig finanziell prekären Lage der Kommunen hat, komme ich doch aus einer Region, in der viele kommunale Haushalte der Aufsicht des Landes unterstellt sind und nur noch sogenannte Pflichtleistungen finanziert werden dürfen. Dennoch: Was uns kommunal wegbricht, wird langfristig nicht durch nationale oder gar europäische Förderung aufgefangen werden können. Häufig erreichen mein Büro Anfragen, die ungefähr so aussehen: „Wir wurden kommunal oder regional gefördert, diese Förderung wird zukünftig reduziert oder ganz gestrichen, deshalb suchen wir nach europäischen Fördermöglichkeiten. Wenn es sein muss, arbeiten wir auch mit einem Partner im Ausland zusammen, den wir dann schon irgendwie finden werden.“
Hier wird Verzweiflung deutlich, häufig von Menschen die sich zudem ehrenamtlich in Projekten engagieren, die mit Fug und Recht in Jahren schwer Erarbeitetes retten möchten. Dennoch kann das nicht die Idee einer europäischen Förderung sein. Ein europäisches Kulturförderprogramm kann nicht die Lücken schließen, die andernorts geschlagen werden. Dafür ist es finanziell nicht ausgestattet und auch nicht gedacht. Wir bekommen nur dann eine effiziente und wirksame Kulturförderung abgesichert, wenn sich jede Ebene auf ihre Möglichkeiten, ihre Zuständigkeit und auch ihre Verantwortung besinnt.
Daher war es richtig, den europäischen Mehrwert stärker als bisher zu betonen. Im Gegenzug haben wir aber bei der Neuauflage des Programms und dessen Implementierung in das Gesamtgefüge Europäischer Programme darauf geachtet, dass es mit dem europäischen Regional- und mit dem Sozialfond kombinierbar bleibt. Explizit wurde in beide Fonds die Möglichkeit der Förderung der Kultur- und Kreativbranche aufgenommen. Dieses Ineinandergreifen bedarf aber einer vorhandenen Substanz auf kommunaler Ebene. Im Klartext: Will man auch eine europäische Förderung, muss man kommunale oder regionale Förderstrukturen unbedingt erhalten.
Neu im Programm "Kreatives Europa" ist auch, dass ein sektorübergreifender Aktionsbereich eingeführt wurde, der vor allem ein Finanzierungsinstrument beinhaltet, das kleinen und Kleinstunternehmen den Zugang zu Krediten erleichtern soll. Noch haben wir hier recht wenig Erfahrungen mit einem solchen Mittel, werden aber aufmerksam verfolgen ob und wie dieses neue Förderinstrument angenommen wird und ob es die gewünschte Wirkung erzielt. Die Idee dahinter ist folgende: Selbst kleine Handwerksbetriebe können Kredite dadurch absichern, dass sie ihre Produktionsmittel als Sicherheit geben. Kreativen ist dieser Weg verschlossen. Die Erfahrung zeigt, dass Kreditinstitute kaum günstig verzinste Kredite für eine gute, kreative Idee geben. Hierbei soll die sogenannte Bürgschaftsfazilität Abhilfe schaffen – wir hoffen, das gelingt.
Dennoch ist kulturpolitisch eines anzumerken: Auch wenn die Wirtschaft den Wert der Kreativbranche für Wachstum und Beschäftigung inzwischen mehr und mehr anerkennt, fehlt es häufig an einer sachgerechten Risikobewertung auch unter Zugrundelegung kulturellen Wissens durch Kreditinstitute. Zu oft noch werden kreative Ideen bei den Banken als per se zu riskant bewertet, ohne dass jemals fachlich die Bewertung einer Projektidee sachgerecht erfolgt wäre. Es ist höchste Zeit, dass auch Banken den notwendigen Sachverstand in ihre Häuser einbeziehen, um der Kreativbranche angemessen Kapital, sicherlich auch Wagniskapital, zur Verfügung zu stellen. Jüngst habe ich von einem start-up im Spieleentwickler-Bereich aus Düsseldorf gehört, welchen unsagbaren Schwierigkeiten und Vorbehalten in der Anfangsphase ihrem nun offenbar erfolgreichen Projekt gegenüberstanden. Nicht nur die klassischen Geschäftsbanken waren mehr als zurückhaltend auch die Stadtsparkasse, die eigentlich genau für solche Klein- und Kleinstunternehmen da ist, war nicht bereit, einen Kredit zu geben.
Im Kulturbereich des Programms "Kreatives Europa" wird neben Literaturübersetzungen und besonderen Maßnahmen zwischen Kooperationsprojekten, Plattformen und Netzwerken unterschieden. Die Kooperationsprojekte sind der klassische Kernbestandteil der Förderung. Für eine Förderung müssen mindestens 3 Kulturakteure aus 3 Teilnehmerländern zusammenarbeiten. Während die "Plattformen" dazu dienen sollen, Talenten und Kulturschaffenden eine Bühne zu bauen und ihnen damit den Weg zu einem Publikum zu eröffnen, sollen die "Netzwerke" die kulturelle, länderübergreifende Zusammenarbeit von Institutionen und Organisationen absichern. Persönlich weiß ich, dass der Deutsche "Cultural Contact Point" in Bonn zu Einzelfragen zu diesem Programmteil eine hervorragende Beratungsarbeit leistet.
Die Förderung des Bereichs Media ist schwieriger zu erklären, da sich die einzelnen Maßnahmebereiche schon in der Rechtsgrundlage mannigfaltig auffächern. Sie reichen von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen über Produktionszuschüsse für audiovisuelle Werke bis hin zur Verleihförderung und Förderung innovativer Maßnahmen beim Einsatz von Digitaltechnik. Auch hier sei auf die für diesen Programmteil in Deutschland vorhandenen Beratungsstellen, den sogenannten Creative Europe Desks in Potsdam, Hamburg, Düsseldorf und München verwiesen. Regelmäßig gebe ich an der Förderung Interessierte den Hinweis und die gutgemeinte Bitte, sich so früh wie möglich mit den jeweiligen Beratungsstellen in Verbindung zu setzen. Es ist doch sehr viel effizienter und angenehmer für alle, gemeinsam mit ihnen eine Idee zu realisieren, als schon viel Arbeit in eine Idee zu stecken, die dann wegen eines Details nicht gefördert werden kann.
Geld aus dem Förderprogramm "Kreatives Europa" ist aber bei weitem nicht alles, was Europa Künstlerinnen und Künstlern geben kann. Es muss sogar mehr geben. Ausgangspunkt, sowohl für das Förderprogrogramm als auch die weitere Kulturpolitik der Europäischen Union ist die Europäische Kulturagenda aus dem Jahre 2007. Hier wurden erstmals die drei strategischen Ziele europäischer Kulturpolitik sichtbar verankert:
1. Die Förderung der kulturellen Vielfalt und des interkulturellen Dialogs
2. Die Förderung der Kultur als Katalysator für Kreativität im Rahmen der Lissabon-Strategie für Wachstum, Beschäftigung Innovation und Wettbewerbsfähigkeit und
3. Kultur als wichtiger Bestandteil der internationalen Beziehungen.
Auf diese Agenda bauten bisweilen zwei "EU-Arbeitspläne für Kultur" auf. Der jüngste endet dieses Jahr. Dementsprechend wird nicht nur mit Spannung erwartet, wer neue EU-Kommissarin oder neuer EU-Kommissar für den Bereich Kultur wird, sondern auch, was in dem neuen Arbeitsprogramm verankert wird. Dieser Arbeitsplan ist dann sozusagen der Fahrplan der europäischen Kulturpolitik für die kommenden vier Jahre (2015 – 2018). Für diesen Zeitraum werden Prioritätenbereiche festgeschrieben. Natürlich ist derzeit nicht in Erfahrung zu bringen, wie denn ein neuer Entwurf dieses Arbeitsplans aussehen könnte, nehme man damit doch der künftigen, noch nicht feststehenden Hausleitung erheblichen Entscheidungsspielraum. Sicherlich wird der neue Entwurf eines künftigen Arbeitsplans einer parlamentarischen Debatte unterzogen. Dabei wäre es mir wichtig, die folgenden Akzente zu setzen:
Digitalisierung und Zugang zur Kultur muss einen wesentlichen Handlungsschwerpunkt darstellen. Medien und Kultur bedingen einander, Digitalisierung und technologischer Fortschritt lassen Kultur und Künste nicht unberührt. Noch stärker als bisher sollten wir uns auf die Frage einlassen, wie auch klassische Kulturbereiche ihren Nutzen aus dieser Entwicklung ziehen können. Dem erfolgreichen, größten europäischen Digitalisierungsprojekt, der Digitalen Europäischen Bibliothek EUROPEANA sollten meines Erachtens weitere Digitalisierungsprojekte mit Innovations- oder Leuchtturmcharakter folgen. Neue Interaktionsformen mit dem Publikum sind durch den technologischen Fortschritt ebenfalls denkbar.
Aber auch ressortübergreifend und ordnungspolitisch sind hier Pflöcke einzuschlagen. Ich kämpfe auch deshalb mit großer Leidenschaft für die gesetzliche Absicherung der Netzneutralität weil gerade kulturelle Güter im Internetzeitalter Gewissheit brauchen, über moderne Kommunikationsnetze an ihr Publikum zu erlangen. Nicht nur für die Wertschöpfung der Kreativbranche ist es unbedingt lebensnotwendig, dass sich der Transporteur neutral zu den im Netz transportierten Inhalten verhält.
Im Koalitionsvertrag heißt es zu einem weiteren Schwerpunkt, nämlich der kulturellen Bildung: "Die Koalition bekennt sich zu dem Ziel, jedem Einzelnen unabhängig von seiner sozialen Lage und ethnischen Herkunft gleiche kulturelle Teilhabe in allen Lebensphasen zu ermöglichen." Es ist nicht nur in Deutschland ein langer Weg dorthin. Auch EUweit müssen wir uns stärker um kulturelle Bildung kümmern als bisher. Es ist eine Frage auch sozialer Teilhabe eines jeden Einzelnen an gesellschaftlichen Diskussionen. Fehlt das grundlegende Wissen über Kultur und Künste bleibt dem Einzelnen nicht nur ein wichtiger Lebens- und Erfahrungsbereich verschlossen, sondern auch den Kulturschaffenden geht das Publikum verloren. Wenn man interkulturellen Dialog seit Jahren herausstellt, sollte man ihn stärker mit kultureller Bildung als europäische Aufgabe verknüpfen und europäische Netzwerke zur kulturellen Bildung schaffen. Ich glaube, dass in der kulturelle Bildung auch der Schlüssel dazu liegt, sich erfolgreich gegen das oben skizzierte Problem einer schleichenden Ökonomisierung der Kunst und Kultur zu stemmen. Nur diejenigen können einen durch Ökonomisierung eintretenden Verlust kultureller Vielfalt beklagen, die auch genau benennen können was verloren geht – dazu muss ich es aber kennen und wertschätzen. Wir wissen dass man dies erlernen kann; Wertschätzung für Kultur fällt weder vom Himmel, noch ergibt sie sich ohne weiteres Zutun.
Der Bereich des Urheberrechts, sei er noch so unangenehm, muss auf europäischer Ebene im Interesse der Kreativschaffenden wie der Nutzer endlich in grundlegenden Fragen bearbeitet werden. Zu lange schon treten wir hier auf EU-Ebene auf der Stelle oder kommen in Teilbereichen nur in Tippelschritten voran. Auch das vor wenigen Tagen geleakte Weißbuch zum Urheberrecht, was demnächst zur Veröffentlichung ansteht, scheint nichts Neues Wegweisendes zu bringen. Anstatt sich vor allem darüber Gedanken zu machen, wie man verstärkt gegen Rechtsverletzungen vorgehen kann, hätte ich mir gewünscht, dass die Kommission ausgehend von dem politischen Willen aller demokratischen Kräfte, einen nachvollziehbar balancierten Interessenausgleich zwischen Schöpfer, Nutzer und Verwerter von rechten im Urheberrecht zu schaffen, Vorschläge oder Optionen zu grundlegenden Fragen wie Privatkopie, Schutzdauer, Ursprungsland und Schrankenregelungen formuliert. Dem Bedürfnis nach einer grundlegenden Copyright-Reform muss im Interesse aller endlich Rechnung getragen werden, wir können hier nicht erneut fünf Jahre abwarten und "monitoren", ohne dass Grundentscheidungen getroffen werden, die vielleicht auch ein Neudenken und Umdenken erfordern. Sicher jedenfalls ist die Erkenntnis, das ein "Weiter so" nicht ausreicht. Wir wissen, dass es Argumente gibt, warum an bestimmten Stellen das Urheberrecht nicht akzeptiert wird und es zu Rechtsverletzungen kommt. Damit muss man sich unmittelbar auseinandersetzen. Das Anziehen von Daumenschrauben wird in der digitalen Welt nicht zur Eindämmung von Rechtsverletzungen führen, sondern im Gegenteil die Akzeptanz eines Urheberrechts weiter aushöhlen. Einfach, handhabbar, gerecht, transparent und nachvollziehbar sind die Adjektive, die für alle entscheidungsleitend sein sollten.
Am Ende eine Bitte: Wir selbst sollten auch dafür sorgen, dass wir nicht alle politischen Debatten und Perspektiventwicklungen europäischer Kulturpolitik von einem möglichen Freihandelsabkommen überschatten lassen. Wir kennen den Text des Abkommens nicht, es ist nicht ausverhandelt und damit auch noch nichts vorentschieden. Die Debatten um notwendige Ausnahmen für Kultur und audiovisuelle Medien sind, soweit es zum jetzigen Zeitpunkt bei dem aktuellen Wissensstand geht, geführt und wir haben uns alle gegenseitig versichert, dass wir eine klare Ausnahme brauchen und als Kultur- und Medienpolitiker auch dafür kämpfen werden – sie müssen mich davon hier heute nicht noch überzeugen. Die formulierten Ausnahmen aus dem Verhandlungsmandat reichen aus meiner Sicht nicht aus und die Kommission hat sich zudem eine Hintertür offen gehalten, am Ende möglicherweise doch noch über Kultur und Audiovisuelles zu verhandeln und sich dafür die Genehmigung des Rates zu holen. Ich bleibe insgesamt skeptisch und Sie können sicher sein, dass ich mit Argusaugen darauf achten werde, dass hier kein Ungemach droht. TTIP wird uns auch kulturpolitisch sicherlich noch eine Weile beschäftigen. Es ist ein kleiner, wenn auch wichtiger Ausschnitt aus der europäischen Kulturpolitik. Wir dürfen darüber aber nicht die vielen Baustellen vernachlässigen, von denen ich heute einige angesprochen habe – das könnte sich sonst bitter rächen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf die Diskussion mit Ihnen.