
Das Europäische Parlament hat heute mit Mehrheit für den früheren luxemburgischen Regierungschef Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionspräsident gestimmt. In Straßburg sprachen sich in geheimer Abstimmung 422 der 751 Abgeordneten für Juncker aus. 250 stimmten gegen ihn, 47 enthielten sich und 10 Stimmen waren ungültig. Der 59-jährige Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP) tritt damit die Nachfolge von Jose Manuel Barroso an.
Erst nach wochenlangem Gezerre im Rat der Staats- und Regierungschefs war Juncker für dieses Amt von der Mehrheit nominiert worden. Nur David Cameron und Victor Orban stimmten gegen die Nominierung. Direkt unmittelbar nach den Europawahlen am 25. Mai hatten fünf Fraktionen im Europäischen Parlament – EVP, S&D, Liberale Grüne und Linke – die Staats- und Regierungschefs gemeinsam aufgefordert, dem Ergebnis der Europawahlen, bei denen die EVP als stärkste Fraktion hervorgegangen war, Rechnung zu tragen und deren Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker als zukünftigen Kommissionpräsidenten zu nominieren.
Die SPD-Europaabgeordnete Petra KAMMEREVERT sagte im Anschluss an die Abstimmung: „Das ist ein guter Tag für die europäische Demokratie. Erstmals konnten die Wählerinnen und Wähler in der EU mit ihrer Stimme mit darüber entscheiden, wer zukünftiger Kommissionspräsident wird. Zwar wollten die Staats- und Regierungschefs aus Reihen der EVP, allen voran Angela Merkel, nach der Wahl nichts mehr von ihrem Spitzenkandidaten wissen, aber das Europäische Parlament hat sich hier durchgesetzt und das im Wahlkampf gegebene Versprechen, dass nur einer der Spitzenkandidaten Kommissionspräsident werden kann, eingelöst. Mit der gestärkten Rolle des Europäischen Parlaments bei der Wahl von Jean-Claude Juncker und dem Kompetenzzuwachs auf dem Feld der Gesetzgebung wird deutlich, dass es das gern zitierte sogenannte Demokratiedefizit in der EU nicht mehr gibt. Die Zeiten, in denen die EU-Staats- und Regierungschefs einen der wichtigsten europäischen Posten hinter verschlossenen Türen auskungeln, sind damit endgültig vorbei" freut sich die Abgeordnete und führt fort: „Dieses Mal geht’s um mehr! So lautete der Slogan der diesjährigen Europawahl. Dies war kein leeres Versprechen. Für mich und viele meiner Kolleginnen und Kollegen stand deshalb fest: Wir müssen Jean-Claude Juncker wählen, wenn wir glaubhaft bleiben wollen. Alles andere wäre dem Wählerwillen nicht gerecht geworden. Aber Jean-Claude Juncker hat sich in seinem vorgelegten Arbeitspapier und in seiner Vorstellung in der S&D-Fraktion auch weit auf die Sozialdemokraten zubewegt.“
In seiner Bewerbungsrede hatte Juncker betont, das Wachstum und Beschäftigung für ihn absolute Priorität haben. 300 Milliarden Euro will er in den kommenden Jahren an zusätzlichen öffentlichen und privaten Mitteln für die Realwirtschaft mobilisieren. Sie sollen vorrangig in Infrastrukturmaßnahmen, in Bildung, Forschung, Innovation und in die Förderung erneuerbarer Energien und Energieeffizienz fließen. Den Anteil an der Industrie am Bruttoinlandsprodukt der EU will er von 16 wieder auf 20 Prozent steigern. Ebenso hat er die dramatischen sozialen Auswirkungen der Troika-Politik bedauert und angekündigt, das Dreiergespann aus Europäischer Zentralbank, EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds durch neue, vor allem demokratischere Instrumente ersetzen zu wollen. Darüber hinaus versicherte er, als EU-Kommissionspräsident die Umsetzung der Finanztransaktionssteuer voranzutreiben und sicherstellen zu wollen, dass Steuern in Europa dort gezahlt werden, wo sie auch erwirtschaftet werden.
„Die heutige Wahl von Jean-Claude Juncker ist allerdings kein Blanko-Scheck. Die Kommission braucht auch zukünftig im Parlament für alle politische Vorhaben eine Mehrheit und die gibt es nicht ohne Sozialdemokraten. Damit erhöht sich die Chance, dass die Politik der nächsten fünf Jahre auch unsere Handschrift trägt. In diesem Sinne werden wir die von Jean-Claude Juncker gemachten Zusagen immer wieder einfordern und ihn an seine Einlassungen erinnern, denn bloße Lippenbekenntnisse helfen den Menschen nicht weiter,“ so Petra KAMMEREVERT abschließend.