Redebeitrag von Petra Kammerevert zur „Stärkung der Verbraucherrechte im Digitalen Binnenmarkt.“

Aussprache im Europäischen Parlament am 26. November 2014 in Straßburg

Verehrter Präsident,
sehr geehrte Abgeordnete,

erneut haben wir eine Debatte um den Digitalen Binnenmarkt, erneut geht es auch hier um die Netzinfrastruktur, nicht zuletzt um Fragen der Netzneutralität und der Zulassung von Spezialdiensten. Ich finde es schon unanständig, wie offensiv Telekommunikationsfirmen und Kabelnetzbetreiber Kampagnen für eine weitherzige Zulassung der Spezialdienste fahren. Die Argumentation verläuft so: Die großen Telkos betonen, dass sie die Netzneutralität im offenen Internet unterstützen, aber nur wenn sie möglichst unbegrenzt Spezialdienste entwickeln dürfen, mit denen sie dann die Netzneutralität aushebeln. Die EU will schnelles Internet in jedem Winkel, die Telkos verlangen für den Ausbau eine Kompensation über Spezialdienste, weil sich der Ausbau sonst angeblich nicht refinanzieren lässt. Wenn wir das zulassen, erkaufen wir uns schnelles Internet um den Preis der Abschaffung der Netzneutralität und damit der Aufgabe grundlegender Freiheitsrechte. Als Abgeordnete sind wir dazu verpflichtet der Informations- und Kommunikationsfreiheit Geltung zu verschaffen, zunächst also jedem einen optimalen Zugang zum Netz zu verschaffen. Kurzum: Wir sind einzig dem offenen Internet verpflichtet.

Eine enge Definition der Spezialdienste und deren strikte Begrenzung, wie wir sie im April in den Verordnungsentwurf hineingestimmt haben, ist unerlässlich, will man die Offenheit des Internets nicht untergraben.
Weder der Staat noch wir als Parlamentarier und am allerwenigsten ein privates Unternehmen haben darüber zu entscheiden, welche legalen Inhalte beim Endkunden ankommen und welche nicht. Der Erhalt des offenen und freien Internets ist eine Grundvoraussetzung für die Sicherung von gesellschaftlicher Teilhabe, von Meinungsvielfalt, von Innovation und fairem Wettbewerb. Diese Werte müssen im Zentrum einer jeden digitalen Agenda stehen.

Diese Ziele dürfen auch nicht durch besondere Vertragsabsprachen unterlaufen werden, die einen bestimmten Dienst durch Anrechnungsfreiheit auf verbrauchte Datenvolumina bevorzugen. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, Vertragsbeziehungen wie Comcast-Netflix oder Spotify-Telekom auch noch den Weg zu ebnen.
(Man braucht keine Spezialdienste zur Finanzierung des Netzausbaus. Die Verbraucher bezahlen schon jetzt für den Netzausbau. Sie werden teilweise abgezockt, weil ihnen seitens der Unternehmen wider deren besseren Wissens Datengeschwindigkeiten vertraglich zugesichert werden, die im Kupfernetz niemals erreichbar sind. Vertrag zu 10 % erfüllt, wofür sehr real 100% Geld verlangt wird. Wie kann es sein, dass fortschrittliche High-Speed Glasfaserkabel durch kleinere Orte verlegt werden ohne dort Verteilerkästen oder Anschlüsse vorzusehen? Soviel zur immer wieder versprochenen ländlichen Versorgung seitens der Unternehmen. )

In der Debatte um Medienkonzentration wurde der Grundsatz entwickelt, dass Fehlentwicklungen rechtzeitig zu begegnen ist, weil sie hinterher nicht mehr korrigiert werden können. Dass das ebenso für Machtpositionen im Internet gelten muss, ist doch das Mindeste, was wir aus dem "Fall Google" gelernt haben sollten.
Es wäre geradezu dumm mit Spezialdiensten erst einmal neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen, um später mit Erstaunen festzustellen, dass sie eine Marktverzerrung darstellen. Dann aber wird es zu spät sein. Bei der Diskussion über Netzneutralität geht es also nicht nur um Grundfreiheiten, sondern auch darum, dauerhaft faire Wettbewerbschancen sicherzustellen, um die Chancen der digitalen Entwicklung für die Schaffung von Wachstum und Arbeitsplätzen zu nutzen. Die gesetzliche Absicherung der Netzneutralität ist keine linke Spinnerei, sondern eine Notwendigkeit sowohl in gesellschaftspolitischer wie in ökonomischer Hinsicht.

Vielen Dank.