
Nach knapp sechs Monaten intensiver Verhandlungen ist es der Kommission, dem Rat und dem Parlament gelungen, sich auf einen legislativen Text zu einigen, der die Netzneutralität in der gesamten EU absichern soll. Wir sind uns darüber bewusst, dass das Erreichte nicht das Idealdesign einer gesetzlichen Absicherung darstellt. Dennoch sind wir davon überzeugt, dass wir mit dem Text schon einiges erreicht haben. Aber: Wir sind auch noch nicht am Ende der Verhandlungen. Es müssen noch sogenannte Erwägungsgründe ausgearbeitet werden. Diese sind zwar rechtlich nicht bindend, erläutern aber die einzelnen Artikel genauer und sollen als Leitbild dienen. Hier kommt es vor allem darauf an, die Abgrenzung der Spezialdienste vom offenen Internet klarer herauszuarbeiten. Eine endgültige Abstimmung über einen Gesamttext im Plenum ist im Herbst 2015 zu erwarten.
Im Trilog hat man sich bisweilen nur auf den legislativen Text, also die Artikel der Verordnung, verständigt und Einverständnis darüber erlangt, dass die Erwägungsgründe an die Artikel anzupassen sind. Diese Arbeit ist nun in weiteren technical meetings zu leisten. Insofern bleibt ist am Ende der Gesamttext einer abschließenden gründlichen Prüfung und Beurteilung zu unterziehen, die für die Abstimmung im Plenum entscheidend ist. Insofern bedarf es weiter des politischen Drucks, damit wir auch bei den Erwägungsgründen zu vernünftigen Verhandlungsergebnissenn gelangen.
I Was haben wir erreicht:
1. Im Artikel 1 ist der allgemeine Grundsatz festgeschrieben, dass Datenverkehr nicht-diskriminierend zu behandeln ist.
2. Zwar taucht der Begriff der Netzneutralität an keiner Stelle im Text auf, aber das was Netzneutralität meint, nämlich die Verpflichtung den gesamten Datenverkehrs ohne Rücksicht auf Sender, Empfänger, Inhalt und Art der Dienste und Applikationen gleich zu behandeln, wurde in der Formulierung des Parlaments vollumfänglich in den Text übernommen (Art. 3 Abs. 3 S. 1).
3. Ein Datenverkehrsmanagement darf nur aus technischen Gründen erfolgen. Es muss transparent und nicht diskriminierend erfolgen und darf nicht länger als aus technischen Gründen notwendig dauern. Ein Verkehrsmanagement aus kommerziellen Gründen ist verboten (Art. 3 Abs. 3 S. 3).
4. Eine Inhaltekontrolle ist ausdrücklich untersagt. (Art. 3 Abs. 3 S. 4). insbesondere ist es uns gelungen, elterliche Kontrollmaßnahmen ebenso wie die Abwehr unerwünschter Nachrichten, was eine Inhaltekontrolle voraussetzen würde, die auf der Netzinfrastruktur also bei den Internetaccessanbietern aufsetzt, aus dem Text vollständig zu streichen (ehem. Art. 3 Abs. 3 S. 5 Buchst. d)). Dies ist besonders bemerkenswert, weil aus dem Rat immer wieder zu hören war, dass dies von einigen Mitgliedstaaten, insbesondere Großbritannien, zur Vorbedingung für eine Zustimmung zum Text gemacht wurde. Damit hätten wir die Tür für eine vollständige Kontrolle des Internets weit auf gemacht. Das haben wir verhindert!
5. Spezialdienste sind insoweit limitiert, dass
• zusätzlich zu angebotenen Internetzugangsdiensten ausreichend Kapazität für deren Betreiben vorhanden sein muss,
• darzulegen ist, warum eine Optimierung im Sinne einer besonderen Dienstqualität erforderlich ist, wobei wir die Durchführung eines Erforderlichkeitstests bei den nat. Regulierungsbehörden für zwingend erachten,
• es nicht gestattet ist, Spezialdienste als Ersatz für Internetzugangsdienste anzubieten und
• sie die "generelle" Qualität des Internetzugangsdienstes nicht beeinträchtigen dürfen (Art. 3 Abs. 5).
6. Die nationalen Regulierungsbehörden müssen die Einhaltung der Netzneutralität aus Art. 3.3 sowie die Einhaltung der Regeln für Verkehrsmanagementmaßnahmen überwachen und die Verfügbarkeit eines nicht diskriminierenden Internetzugangs sicherstellen. Hierfür können die nationalen Regulierer technische Qualitätskriterien festlegen (wie zum Beispiel Mindestübertragungsgeschwindigkeiten), die auch dem aktuellen Stand der Technik Rechnung tragen müssen(Art. 4, Abs. 1). Die Up- und Downloadgeschwindigkeiten von Internetzugangsdiensten werden kontrolliert (Art. 4 3 d)) und die Mitgliedstaaten sollen ein Strafregime bei Verstößen gegen diese Verpflichtungen etablieren (Art. 5).
II Erwägungsgründe
In den weiteren Verhandlungen um die Erwägungsgründe muss es darum gehen, die rechtlichen Unklarheiten weiter auszuräumen. Insbesondere muss darauf geachtet werden, dass
• die Verpflichtung zur Netzneutralität nicht relativiert wird.
• sichergestellt wird, dass das sogenannte "begründete" Verkehrsmanagement eine Ausnahme darstellt.
• eine klarere Grenzziehung zwischen Spezialdiensten und dem offenen Internet dadurch erfolgt, dass der Auslegung der Wörter "notwendig" und "generell" in Art. 3 Abs. 5 klare und unmissverständliche Auslegungsgrenzen gesteckt werden. Die zwingende Durchführung eines Erforderlichkeitstests bei nationalen Regulierungsbehörden vor Einführung eines Spezialdienstes soll sichergestellt werden.
Erst wenn dies erreicht, kann man von einem ordentlichen Ergebnis sprechen. Nichts ist vereinbart, bevor nicht alles vereinbart ist – das gilt auch hier!!
III Was leider nicht gelungen ist.
Ein Verbot des zero-rating war nicht weiter verhandelbar, es wäre meines Erachtens auch unter einer anderen Präsidentschaft nicht erreichbar gewesen. Viele, so auch ich, hätten sich ein solches Verbot gewünscht. Starkes Argument gegen das zero-rating Verbot war, dass auch im Text des EP aus 1. Lesung ein zero-rating-Verbot letztlich nicht angelegt war.
Klar ist, dass netzpolitisch weitere Initiativen gegen zero-rating dringend notwendig sind. Eine Bekämpfung solcher Geschäftsgebaren vor allem im Zuge einer steigenden vertikalen Integration der Unternehmen (Inhalteanbieter und Inhaltedistributeur sind ein und dasselbe Unternehmen – "Alles aus einer Hand") muss zügig angegangen werden.