Antwortschreiben der Europaabgeordneten Petra Kammerevert zu Netzneutralität

Sehr geehrte Damen und Herren,

haben Sie vielen Dank für Ihre Anfragen zum Thema Netzneutralität. Gerade bei einem Thema, dass in der EU scheibchenweise kleingeredet wird ist es umso wichtiger, dass sich die Zivilgesellschaft hier einmischt. Geschieht dies nicht, und hier teile ich Ihre Ansicht voll und ganz, ebnen wir den Weg für ein Zwei-Klassen-Internet.

Nachdem das Europäische Parlament in der vorangegangenen Legislaturperiode mit der Verabschiedung des Berichts zur Verordnung zum Digitalen Binnenmarkt die Netzneutralität endlich gesetzlich verankern wollte, stehen wir nun nach zähen Trilog-Verhandlungen mit Rat und Kommission kurz vor der Abstimmung der Verordnung im Plenum.

Leider spiegelt der zur Abstimmung vorliegende Text wider, dass in den einzelnen Mitgliedsstaaten weiterhin die Auffassung vorherrscht, man könne durch das Zulassen sogenannter Überholspuren im Netz Investitionsanreize für den Netzausbau schaffen. Selbst in den USA, wo insgesamt ein deutlich wirtschafts-liberaleres Klima vorherrschend ist, wurden im letzten Jahr durch die US-Telekommunikationsaufsicht FCC klare Regeln zur Netzneutralität eingeführt.

Leider bietet der Verordnungsvorschlag eben solche klaren Regeln nicht! Im Text findet sich weder das Wort "Netzneutralität" noch rechtstechnisch eine Definition. Internetzugangsanbietern wird lediglich die grundsätzliche Verpflichtung aufgegeben, den gesamten Datenverkehr gleich zu behandeln. Die möglichen Ausnahmen sind so weitherzig, dass die politisch gewollte, klare gesetzliche Absicherung der Netzneutralität gefährlich verwässert wird. Für die Abschaffung des Roamings bezahlen wir einen zu hohen Preis – wenn auch nicht die Abschaffung der Netzneutralität, so aber doch zumindest deren völlige Aufweichung.

Auf der Grundlage des offenen und diskriminierungsfreien Charakters hat sich das Internet als Innovationsmotor für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung erwiesen. Hierdurch wird kommunikative Chancengleichheit sichergestellt und Vielfalt von Meinungen und Informationen gewahrt. Darum darf die Neutralität und Offenheit des Netzes nicht den Kräften des Marktes überlassen werden. Denn verabschiedet man sich von der Netzneutralität als Leitprinzip, wird das dauerhaft und unwiderruflich die derzeitige dezentrale Struktur des Internets zerstören.
Aus diesen Gründen werde ich dem vorliegenden Verordnungsvorschlag nicht zustimmen können.

Die von Marietje Schaake, einer liberalen Abgeordneten aus den Niederlanden, eingebrachten Änderungsanträge, welche bestrebt sind im Verordnungstext die ursprüngliche Position des Parlaments wieder einzubringen, finden meine Unterstützung, ich fürchte jedoch, dass die Aussichten auf Erfolg bei den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen im Parlament eher gering sind.

Ich hoffe, dass diese Antwort Ihrem Anliegen entgegenkommt und verbleibe
mit freundlichen Grüßen,

Ihre Petra Kammerevert

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Dear Ladies and Gentlemen,

Thank you very much for your e-mail regarding net neutrality. Especially with a topic that has been belittled bit by bit, it is now even more important that the civil society intervenes. If that does not happen, and in this point I completely agree with you, we are going to pave the way for a two-class Internet.

After the European Parliament wanted to finally enshrine the net neutrality in the previous legislature with the adoption of the report on the regulation on the digital single market, we are now, after tough trialogue negotiations with the Council and Commission, shortly before the vote of the regulation in the plenary.

Unfortunately, what is reflected by the present text for the vote is that in various Member States still dominates the view that one can create investment incentives for network expansion by allowing so-called passing lanes on the net. Even in the US, where a significantly more liberal economic climate is prevalent, clear rules have been introduced on net neutrality in the past year by the US telecommunications regulator FCC.

The proposed regulation, however, does not provide such clear rules! The text contains neither the word "net neutrality" nor a legal technical definition. It simply imposes on Internet providers the general obligation to treat all data traffic equally. The possible exceptions are so broad-minded that the politically intended clear legal protection of net neutrality is dangerously diluted. The price we pay for the abolition of roaming is too high – although it is not the abolition of net neutrality but at least its complete softening.

On the basis of its open and non-discriminatory nature, the Internet has proven to be a driver of innovation for social and economic development. In this way communicative equality is guaranteed and diversity of opinions and information ensured. Therefore the neutrality and openness of the internet must not be left to market forces. Because if we abolish the net neutrality as a guiding principle, the current decentralized structure of the Internet will be permanently and irrevocably destroyed.
For these reasons I cannot agree to the present proposal.

I do support the amendments Marietje Schaake has just brought in. Her objective is to bring the original position of the EP back into the regulations text. Sadly, I suppose that, due to the majorities here in the EP, these AMs will not be successful.

I hope that this answer meets your concerns and I remain with
best regards,

Your Petra Kammerevert