
Sehr geehrte Damen und Herren,
der Friedrich Ebert Stiftung muss man zunächst gratulieren – der Zeitpunkt, um über Anforderungen an eine europäische Kulturpolitik zu reden und zu diskutieren könnte pointierter nicht sein. Schwierig, allemal ein Wagnis und sicher denken viele hier im Saal „notwendiger denn je“!
Der Brexit hat uns deutlich vor Augen geführt, wohin ein jahrelanges EU-Bashing führen kann. Die britische Entscheidung gibt Nationalisten Aufwind – in Frankreich, in den Niederlanden, in Belgien, in der Slowakei, in Österreich, in Ungarn, in Polen, in Deutschland. Jede dieser populistischen Bewegungen vermengt Politik mit einer Kultur der Abgrenzung und Ausgrenzung nach dem Motto „Meins ist besser als Deins und Du sollst an Meinem nicht teilhaben“. So eindimensional diese Formel ist, so einfach und verständlich ist sie und bedient Egoismen. Das macht sie erfolgreich und für die Demokratie gefährlich.
Dem nur die These entgegenzusetzen, dass ohne Europa Armutsverschärfung, Folgen der Globalisierung, die Finanzmarktregulierung, der Klimawandel und der Kampf gegen Terrorismus noch viel schwieriger in den Griff zu bekommen seien, hilft kaum noch. Weil der Nachweis dafür fehlt und unmöglich zu erbringen ist. Vertrauen und Glauben an Europa schwinden aber, weil Menschen in Südeuropa und auch bei uns arm sind, es offenbar wärmer wird, tausende Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken und wir in Belgien und Frankreich den Terror mehrfach vor der eigenen Haustür erleben mussten. Jean-Claude Juncker brachte es diesen Mittwoch im Parlament auf den Punkt: Die EU-Mitgliedstaaten sind tief zerstritten, wie Wirtschaftsflaute, Flüchtlingskrise und Terror überwunden werden können. Wir befinden uns in Teilen in einer existenziellen Krise der Europäischen Union und die Zahl der Bereiche, in denen wir solidarisch zusammenarbeiten, ist zu klein.
Dieses explosive Gemisch wird durch die Situation bei den europäischen Nachbarn noch verschärft: Die Volksabstimmung in der Schweiz über die Einschränkung der Freizügigkeit war rückblickend eine erste Vorwarnung, was da kommen mag. Das Verhältnis zu Russland ist wegen einer instabilen Ukraine angespannt, der arabische Frühling endete vielerorts enttäuschend in einem Spätherbst. Der Krieg in Syrien erlebt gerade eine wackelige Feuerpause, zieht aber weitere religiöse Auseinandersetzungen mit in seinen Sog. Kurden werden verfolgt und getötet. In der Türkei, einem Land, dass der EU nach wie vor als wichtiger Partner gilt, werden zunehmend Grund- und Menschenrechte mit Füßen getreten – von Presse- Meinungs- und Kulturfreiheit kann hier kaum noch die Rede sein. Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk attestierte der Türkei vergangenen Sonntag in einem Gastbeitrag für die italienische Tageszeitung La Repubblica: "Die Gedankenfreiheit existiert nicht mehr. Wir bewegen uns mit großer Geschwindigkeit von einem Rechtsstaat zu einem Terrorregime". Dem vorausgegangen ist ein deutsch-türkischer Kulturkampf um ein Gedicht, in dem sich keiner der Beteiligten kulturelle Verdienste erworben hat. Ein in Vergessenheit geratener Paragraph wurde nochmals preußisch korrekt exekutiert während es Bestrebungen gibt, ihn völlig abzuschaffen – wenigstens letzteres.
Die Beziehungen zu unseren transatlantischen Nachbarn sind im Lichte von TTIP, TISA und CETA auch nicht die besten und wir erleben in den USA einen Präsidentschaftswahlkampf, der geschmackloser kaum sein kann – mit ungewissem Ausgang.
Das ist ein ernüchterndes Bild und wir sollten nicht glauben, dass es der Kulturpolitik gelingen wird, hier die Kehrtwende einzuleiten. Wir würden mit zu hoch gesteckten Erwartungen an Kulturpolitik erst recht Enttäuschungen hervorrufen.
Das bedeutet mitnichten, dass es keine Anforderungen an Kulturpolitik gäbe. Kultur muss raus aus der Nische! Meines Erachtens haben wir uns zu sehr in einem Elfenbeinturm verschanzt, der links oben in der Gesellschaft anzusiedeln ist, in dem wir uns gegenseitig versichern, dass Einigkeit und internationale Verständigung wichtig seien. Immer wieder müssen wir uns doch aber selbstkritisch die Frage stellen, ob uns mit kulturellen Angeboten noch ein Umdenken in den Köpfen der Rezipienten, ein wirkliches In-Frage-Stellen der eigenen Position bis hin zu klassischen Katharsis oder öffentlichen Debatte, nicht über die Kunst oder über sich selbst sondern über gesellschaftliche Zustände gelingt. Denjenigen, die sich als Linksintellektuelle oder als Linksliberale verorten, muss es doch ein Anliegen sein, mit Menschen, die anderer Überzeugung sind, in einen Diskurs auf Augenhöhe zu treten. Zu häufig erlebe ich aber in jüngster Zeit Erklärungsversuche für den Zuspruch an Populismus, der fast schon arrogant anmutet.
Kultur soll dazu beitragen im kritischen Dialog eine neue Vision Europas zu entwickeln. Dazu braucht es aber Mutige, die bereit sind eine Vision Europas zu entwickeln und konsequent, geduldig aber beharrlich an ihrer Umsetzung arbeiten. Wir müssen die Neuentwicklung einer europäischen Vision mit einer Neuformulierung der europäischen Idee beginnen.
Heute 25jährige kennen weder heißen noch kalten Krieg, weder Mauerbau noch Mauerfall. Ich kann ihnen nicht verübeln, wenn sie auf die Frage, was denn die europäische Idee sei, antworten, dass man ohne weiteres ein nettes Wochenende auf Ibiza verbringen könne. Wir können die europäische Idee nicht mehr an ein historisches Narrativ anknüpfen, das niemand erlebt hat und mit der Lebenswirklichkeit junger Menschen nichts zu tun hat. Europa war lange das Versprechen auf eine bessere Zukunft, auf Frieden, wachsenden Wohlstand und mehr Freiheit.
„ Heute aber glauben viele dieses Versprechen nicht mehr und immer mehr Menschen zweifeln an Europa. Sie halten es für einen Teil des Problems und nicht mehr für den konstruktiven Teil der Lösung“, so Sigmar Gabriel und Martin Schulz in ihrer recht schonungslosen Analyse über den Zustand Europas. Europa ist im Alltag der Menschen selbstverständlich aber nicht gegenwärtig. Wie sehr wir uns seit 1990 hin zu einer offenen und pluralistischen Gesellschaft entwickelt haben ist uns nicht genug bewusst. Man muss sich nur die Frage stellen, wie viele Menschen wären aus meiner alltäglichen Umgebung verschwunden, würde man sich wieder als deutsche Volksgemeinschaft abgrenzen, die der Frau die Rolle im trauten Heim zuweist und zudem Homosexuelle ausgrenzt.
Das System „Merkel“ ist dabei Teil des Problems. Über viele Jahre hinweg hat Merkel mit ihrem Prinzip der ruhigen Hand und des permanenten Fahrens auf Sicht, das Land in eine Art Tiefschlaf versetzt – und wir alle haben uns davon einlullen lassen. Gesellschaftliche Auseinandersetzung über grundsätzliche Fragen und darüber, wie wir in Zukunft leben wollen: Fehlanzeige. Ihr „Wir schaffen das“ ohne auch nur eine Idee davon zu vermitteln „wie wir das schaffen“ hat das Land aus diesem Tiefschlaf geholt, aber in einer Art, dass uns letztlich nur allen Angst und Bange werden kann. Der Populismus treibt auch bei uns fröhlich Blüten und wir befinden uns fast in einer Art Kulturkampf.
In ihrer Partei fehlt ihr aber der Mut und der Rückhalt, das, wie sie instinktiv und auf Sicht reagiert, in einer Vision konsequent weiter zu entwickeln. Es wäre eine Zumutung an die CDU und ein Bruch mit ihrer eigenen Partei. Also wurschtelt sie sich weiter durch, fährt auf Sicht, wartet ab, ist nur reaktiv. Gefährlich ist nur, dass dieser Politikstil europäisch vielerorts kopiert wurde. Damit wird allen EU-Bürgern zugemutet, nicht zu wissen, wo die politische Führung denn hin will. Und genau diese Verunsicherung ist das Einfallstor des Populismus. Es muss von uns Sozialdemokraten geschlossen werden, indem wir eine Vision von Europa entwickeln, die sich zur offenen, pluralistischen Gesellschaft bekennt, die jeweiligen Bedürfnisse und Probleme des Menschen ernst nimmt, ihm aber auch ein Miteinander bei der Bewältigung aller Herausforderungen als Selbstverständlichkeit abverlangt.
Wir brauchen eine intensive und breit geführte gesellschaftliche Debatte darüber, wie wir in Zukunft in Europa leben wollen. Das bedeutet in Teilen mehr Europa, ein ernsthafteres Auseinandersetzen mit dem, was in Brüssel und Strasbourg entschieden wird, aber auch damit, was wir zukünftig getrost den Mitgliedstaaten, den Regionen und Kommunen überlassen können. Das heißt, aber auch damit aufzuhören, alles Schlechte der EU anzukreiden und alles Gute, selbst wenn es eigentlich aus Europa kommt, nur sich selbst zuzuschreiben Das bedeutet, das nationale Regierungen in Brüssel ihre Partikularinteressen stärker zurückzustellen haben. Das bedeutet ein eindeutiges und unumkehrbares politisches Bekenntnis zu Grundsätzen wie das Klima zu schützen, die Finanzmärkte zu regulieren, internationale Handelsströme zu steuern und effektiv, solidarisch und menschenwürdig, internationalen Flüchtlingsströmen zu begegnen. Das bedeutet letztlich auch Europa in Feldern, die einer größeren gemeinsamen Kraftanstrengung bedürfen eigene Entscheidungskompetenzen zuzubilligen – was aus meiner Sicht auch den Bildungsbereich mit einschließen muss. Ohne eine solche Vision 2019 in einen Europawahlkampf zu ziehen, wäre ein Freiflug mit ungewissem Ausgang.
Was hat das nun alles mit Kultur zu tun? In dieser notwendigen Debatte muss sich europäisch erneut der Begriff der Kultur weiten, der das Politikverständnis, das Rechtswesen, Sport und Bildung neben Künsten mit umfasst. Es wird uns auch nicht möglich sein, diese Vision zu erzwingen, erst recht nicht ihre Umsetzung. Wenn aber Kultur, Geschichte, Sprache, Identität und gesellschaftliches Selbstverständnis mit umfasst werden, ermöglicht Kultur im weitesten Sinne den Dialog untereinander und Verständnis füreinander.
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini wählt diesen Ansatz in ihrer neuen Strategie für eine gemeinsame EU-Kulturaußenpolitik: Statt Europas Kulturen in den Rest der Welt zu tragen, für sie zu werben und zu erzählen wie divers und bunt hier alles sei, geht es darum, Vertrauen aufzubauen und eine echte Verständigung mit außereuropäischen Ländern zu suchen. Und genau diese neue Verständigung durch gegenseitigen Austausch auf Augenhöhe benötigen wir auch nach innen.
Dass man mit dieser politischen Richtungsentscheidung nicht warten kann, ergibt sich auch aus dem Umstand, dass eine kontinuierlich fortschreitende Digitalisierung die Globalisierung vorantreibt. Diese Entwicklung wartet nicht darauf, bis wir ein europäisches Leitbild ausgeknobelt haben, sondern schreitet mit oder ohne politische Gestaltung voran und setzt schlimmstenfalls Fakten, die reaktiv kaum wieder einzufangen sind. Zwar freut es mich, dass in den vergangenen zwei Jahren Netzpolitik aus der Nische gekommen ist. Aber auch hier stoßen wir auf Herausforderungen, die wir nur gemeinsam, bestenfalls global gestalten müssen, zumal die Digitalisierung die Arbeitswelt spürbar revolutioniert und analoge sozialdemokratische Kernkompetenzen in Frage stellt.
Nun hilft uns die schönste europäische Vision und deren Notwendigkeit nichts, wenn nicht Einzelne daraus eine Chance für sich ableiten können. Vorausgesetzt, dass uns in der EU auch künftig ein Mindestmaß an sozialen Standards wichtig ist, liegt der Schlüssel zu einer Sicherung eines solchen Wohlstands in der Bildung eines jeden Einzelnen. Die Konsequenzen des sich in der Europäischen Union ausweitende Fachkräftemangels werden derzeit gnadenlos unterschätzt. Er hat die Schlagkraft uns dauerhaft in eine soziale Krise zu stürzen, weil nicht oder nur sehr langwierig zu reparieren geht, was in Kinderjahren in der Entwicklung junger Menschen versäumt wurde. Es ist überfällig Bildung nicht nur als nationale, sondern auch als europäische Aufgabe zu begreifen. Dringender denn je benötigen wir eine gemeinsame europäische Kraftanstrengung um allen Menschen in der EU Zugang zu einem kostenfreien, lebenslangen Lernen zu ermöglichen, ausgehend von einem ganzheitlichen Bildungsbegriff, der formales, nicht-formales und informelles Lernen gleichermaßen berücksichtigt sowie der kulturellen und interkulturellen Bildung und dem Erwerb von Medienkompetenz die notwendige Aufmerksamkeit schenkt. Dadurch entstehen Perspektiven, eröffnen sich Chancen, nimmt man die Angst und ermöglicht Verständigung, Offenheit und Toleranz. Wir müssen Bildung endlich als eine Kernaufgabe der Politik begreifen – auch in Europa. Das bedeutet nicht, dass wir uns in der EU nun über das richtige Schulsystem streiten, sondern, dass wir uns auf gemeinsame Ziele und Rahmenbedingungen verständigen, die dann jeder auf seine Weise und entsprechend seiner eigenen Traditionen aus- und erfüllen muss. Für eine Europäisierung der Bildungspolitik lohnt es sich zu kämpfen.
Wir versäumen es zunehmend die Bedarfslücken im Fachkräftemangel zu schließen. Neueste Prognosen gehen allein für Deutschland von einer Bedarfslücke von bis zu 30% in der IKT-Branche aus.
Sie können jetzt sagen, Frau Kammerevert hat das Thema verfehlt. Sie hat nichts gesagt zum Europäischen Kulturerbejahr 2018, zur Fortentwicklung der Kultur- und Kreativwirtschaft auf europäischer Ebene, zur Überarbeitung der audiovisuellen Mediendienste Richtlinie, zum anstehenden Review des Förderprogramms „Kreatives Europa“ oder zum vieldiskutierten Verhältnis europäischer Kultur zu TTIP und CETA.
Um Anforderungen an eine europäische Kulturpolitik ausloten zu können bedarf es zunächst einer Klarheit, wo wir mit Europa hin wollen. Spätestens seit dem Brexit ist hier nichts mehr selbstverständlich ist, sondern bedarf einer neuen Verständigung, die von breiten Teilen der EU-Bevölkerung getragen wird. Daran mitzuwirken wird aktuelle Aufgabe der Kultur sein. Raus aus dem Elfenbeinturm und rein in die gesellschaftlichen Debatten, das ist die Aufgabe der Kultur und der Kulturpolitik!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.