„Gute Medienregulierung in der EU“

Sehr geehrter Herr Staatssekretär,
Sehr geehrte Frau Gerlach,
Sehr geehrter Herr Steffens,
verehrte Gäste,

Wertschöpfung, Partizipation, Kreativität und Hass waren die vier Themen-Schlagworte der Werkstätten, die hier in der Landesvertretung unter der Dachmarke „Digitale Gesellschaft NRW.EU“ in den zurückliegenden elf Monaten stattfanden. Ausgangspunkt der Diskussionen war die im Mai 2015 vorgelegte Strategie für einen Digitalen Binnenmarkt der Kommission. Im Auftakt und in nahezu jeder Werkstatt gab es deutliche Bezüge zur audiovisuellen Mediendienste-Richtlinie – was man sich wünsche und von einer Überarbeitung erwarte.
Wo stehen wir nach einem Jahr Diskussion über Medien im Allgemeinen und über audiovisuelle Medien und die dazugehörige, laut netzpolitik.org „grauenhafteste und unklarste Richtlinie, die die EU jemals gesehen hat“ im Besonderen?

Rückblickend kann man sagen, dass sich sehr wohl in den letzten anderthalb Jahren etwas verändert hat: Die Digitalisierung ist aus ihrem politischen Dornröschenschlaf erwacht. Kaum ein Thema wird nicht im Lichte der Digitalisierung diskutiert: Arbeit 4.0, Industrie4.0, smart car, e-health, smart energy. Ein der Digitalisierung angepasster wirtschafts-und ordnungspolitischer Rahmen, wie vor einem knappen Jahr in der Auftaktveranstaltung gefordert, ist bei weitem noch nicht kohärent, aber wir sind mit dem politischen Diskurs endlich auf dem richtigen Weg. „Schneller werden“ war eine weitere Forderung im Auftakt.

Glauben Sie mir, Frau Verheyen und ich versuchen als Ko-Berichterstatterinnen schnell zu sein – was bereits die entsprechenden Diskussionen im Parlament auslöste, weil sich andere abgehängt fühlen. Bei der Digital- und Medienpolitik derzeit die richtige Entscheidung aus Diskussionen herauszufiltern, in denen Positionen und Konzepte sehr interessengeleitet und vehement vertreten werden, ist aufwendig. In diesem Umfeld dann für einen gemeinsamen Standpunkt Mehrheiten zu gewinnen, dauert dann doch ein wenig länger als ein Wochenende bei ein oder zwei Gläsern Wein, wie von Kommissar Oettinger seinerzeit angenommen.

Im Berichtsentwurf haben wir uns an dem orientiert, was hier bereits diskutiert wurde: Die Regelungen stärker am Schutzgut ausrichten und unabhängiger von ihrer technischen Verbreitung regeln. Jetzt müssen auch die Mitgliedstaaten den Mut haben, diesen Weg mit uns zu gehen. Konkret haben wir den Schutz der Menschenwürde, den Jugendschutz, Grundregeln zu Werbung, Product-Placement und Sponsoring in einem für alle Arten audiovisueller Dienste gültigen Kapitel vorangestellt. Wir stellen die Botschaft voran, dass bestimmte audiovisuelle Inhalte wie Hetze oder Rassismus nicht erwünscht werden und erwarten, dass dieses Maß an Respekt und Würde dienstübergreifend gilt, da Menschenwürde auch im Digitalen unteilbar bleibt.

Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, dass die Richtlinie nur den audiovisuellen Bereich regeln kann. Das ebenso in den Werkstätten angesprochene Problem der „Social Bots“, die fragwürdige Inhalte jeglicher Couleur mit einer vermeintlichen Relevanz im Netz gerieren können und damit die Meinungsbildung beeinflussen, ist hiermit nicht gelöst. Ebenso wird man mit der AVMD nicht Hasstiraden in Social Media komplett einfangen können.

Weiterhin haben wir die Aufstellung von Verhaltenskodizies zur Selbstregulierung, die sowohl beim Jugendschutz als auch bei der Werbung als Regelungsinstrument grundsätzlich gut funktionieren, in einem Artikel zusammen gefasst und stärker mit dem Element der Ko-Regulierung flankiert. Der Gesetzgeber muss sich das Recht vorbehalten dürfen regulierend einzugreifen wenn Selbstregulierung nicht den von ihm erhofften Effekt erzeugt. Hier folgen wir nicht ganz den Vorschlägen der Kommission, die es den Videoplattformen größtenteils selbst überlassen wollte, wie sie zu schützende Güter händeln und erteilen der von der Kommission vorgeschlagenen Vollharmonisierung eine Absage.

Auch wollen wir sicherstellen, dass dienstübergreifend den Medienkonsumenten klar ist, ob sie Werbung, gesponserte Inhalte oder Inhalte mit Produktplatzierung sehen. Kommt etwa in Schmink-Tutorials auf youtube Sponsoring oder product placement vor, verbieten wir nicht etwa diesen Inhalt, sondern verlangen, dass er als das kenntlich gemacht wird, was er ist. Dem scheinheiligen Eindruck, der hier vor allem jungen Menschen vermittelt wird, dass es sich nämlich um völlig selbstlos erstellte Verbraucherinformationen oder gar Bildungsinhalte handelt, muss begrenzt werden.

Ich möchte nochmal betonen, dass wir damit keine flächendeckende Kontrolle des Internets etablieren, die ich politisch nach wie vor bekämpfe, weil sie mit kommunikativen Grundfreiheiten nicht vereinbar wäre. Auch Netzneutralität wird nicht beschränkt. Die Vorschriften sind als Missbrauchsaufsicht konzipiert, die der Idee „Notice and takedown“ folgen.

Als weitere Elemente möchte ich benennen, dass wir das Herkunftslandprinzip stärken, nach längerer Diskussion an einer Quote für europäische Werke in video-on-demand Angeboten festhalten und eine engagierte Regelung zur Schaffung barrierefreier Angebote vorschlagen. Hierauf können wir auch gern näher in der Diskussion eingehen. Wir folgen der Kommission weitestgehend bei ihrem Vorschlag zur Liberalisierung der Werbezeiten im klassischen linearen Fernsehen. Aus den vielzähligen Anhörungen sehen wir aber auch, dass es vor allem im Hauptabend den Wunsch gibt, nochmals zu deckeln, so dass wir in der Zeit von 20 bis 23Uhr nur 20% der Gesamtsendezeit der Werbung zubilligen wollen, während in der restlichen anfallenden Zeit von 7:00 bis 20:00 die Werbung frei verteilt werden kann. Durch diesen Kompromiss wird zum einen dem befürchteten Preisverfall um die Werbeminute entgegnet und die Integrität von Filmwerken stärker geschützt.

Zusätzlich zum Kommissionsvorschlag waren uns Vorschriften zur Auffindbarkeit und zur Signalintegrität ein Anliegen. So geben wir Mitgliedstaaten die Möglichkeit, Konzepte zu entwickeln, bei denen audiovisuelle Mediendienste von allgemeinem Interesse angemessen herausgestellt werden können. Gegner dieser Regelung behaupten immer man brauche sie nicht, da es ja keine Marktverengung gebe, die Vielfalt der Inhalte sie doch da. Ja, da haben sie sicherlich Recht. Werden diese Inhalte aber letztlich vom Nutzer in einer Informationsflut nicht mehr gefunden und damit nicht mehr wahrgenommen, wirkt sich dies letztlich genau so schlecht aus wie die Verengung. In beiden Fällen erreicht die Information den Adressaten nicht. Und dass Algorithmen ganz andere Interessen verfolgen als die, die man in einer gesellschaftspolitischen Debatte als allgemein festlegt, können wir immer wieder erleben.

Der Schutz der Signalintegrität war ein Wunsch der Rundfunkveranstalter. Auch wenn wir nicht flächendecken die Störung des Signals durch Überblendungen erleben, so soll dennoch deutlich werden, dass eine Manipulation des Sendesignals durch Dritte gesetzgeberisch missbilligt wird und nicht zulässig ist.

Längere Diskussionen mit der Kommission zeichnen sich ab zu den Vorschriften die die Unabhängigkeit der Regulierungsstellen absichern sollen und was das Verhältnis der Arbeitsgemeinschaft der Regulierungsstellen auf EU Ebene, der ERGA, zum Kontaktausschuss, in dem die Mitgliedsländer versammelt sind, betrifft.

Uns ist die Unabhängigkeit der Medien in der gesamten EU ein herausragend wichtiges Anliegen. Da wir hier nah am jeden Mitgliedstaat zustehenden Organisationsrecht operieren, brauchen wir wirkungsvolle Regeln, die gleichzeitig die Subsidiarität respektieren und nationalstaatliche Zuständigkeiten nicht aushöhlen. Nach den Diskussionen gestern und heute mit der Kommission und im Kulturausschuss, habe ich den Eindruck, dass langsam erkannt wird, dass die vorgesehene „rechtliche Trennung“ die negative und auch gar nicht gewollte Schlagkraft haben kann, gut funktionierende Systeme der binnenpluralen Kontrolle, wie Rundfunkräte, zu zerstören. Man zielt damit auf die Richtigen und trifft die Falschen, wie die Süddeutsche am Wochenende anmerkte. Wir unterstützen sehr die funktionale Unabhängigkeit und wollen diese verstärken, indem wir die Unabhängigkeit der Redaktionen dadurch absichern, dass es Regulierungsstellen ausdrücklich verboten ist, vorab Einfluss auf jegliche redaktionelle Arbeit zu nehmen. Hier liegt doch der Kern der Unabhängigkeit, den es EUweit zu schützen gilt.
Über die AVMD Richtlinie hinaus sind weitere gesetzgeberische Vorhaben seit der Sommerpause erschienen, die unmittelbar Einfluss auf Medien haben werden, sei es die Fortentwicklung der Kab-Sat-Richtlinie, weitere Überlegungen zum Urheberrecht oder der soeben veröffentlichte European Electronic Communications Code.
Meine Aufgabe als EU-Parlamentarierin und Medienpolitikerin wird es sein, in all diesen Vorschlägen Grund- und Freiheitsrechte auch in der digitale Welt sicherzustellen. Nur so können wir Chancengleichheit und demokratische Teilhabe an weltweiten Kommunikationsnetzen und damit grundlegende Infomations- und Kommunikationsfreiheiten gewährleisten und schützen. Sowohl weite Teile meiner Fraktion als auch ich wollen eine digitale Grundrechtecharta verankern, in dem der Schutz der Persönlichkeitsrechte und der meinungs- und Informationsfreiheit ein zentraler Stellenwert zukommt. Es muss über unterschiedliche Politikfelder hinweg klar und einfach handhabbare Regeln geben, welche Rechten und Pflichte für Anbieter und für Konsumenten gelten. Das Interesse der Bürgerinnen und Bürger, am Potenzial von Innovationen teilzuhaben muss dabei im Mittelpunkt stehen. Es gilt, Hürden bei der Nutzung länderübergreifender, digitaler Angebote weiter abzubauen ohne dabei Wertschöpfungsprozesse zu zerstören – das Stichwort hier ist Geoblocking.
Mit unserer Digital- und Medienpolitik müssen wir dafür Sorge tragen, dass Digitalisierung ein globales Freiheitsversprechen bleibt. Das geht nur, wenn jeder einzelne digitale Souveränität entwickeln kann. Deshalb bedarf es einer gesamteuropäischen Kraftanstrengung, um die bereits bestehenden Defizite im Medienkompetenzerwerb, und zwar in allen Generationen, abzubauen.
Zu einer guten Medienpolitik zählt auch das Engagement für eine moderne digitale Infrastruktur: Eine bestmögliche Breitbandversorgung ist die, die auch noch mittelfristig steigende Datenmengen bewältigt, ohne dass es eines Netzmanagements bedarf. Deshalb muss in Glasfasernetze investiert werden. Nur das sichert uns künftig eine Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. Ein offenes WLAN ist Teil einer offenen Gesellschaft. Hierfür benötigen wir aber europäisch Klarheit zur Haftung. In Deutschland ist hier nach langem hin und her ein guter Weg gefunden worden, der nicht europäisch erneut wieder in Frage gestellt werden darf.

Nach wie vor muss das freie und offene Internet geschützt und verteidigt werden. Die Sicherstellung der Netzneutralität, sowie das Verbot von Zero Rating und die weitest mögliche Begrenzung von Netzwerkmanagement sowie die klare und eindeutige Eingrenzung von Spezialdiensten ist sicher zu stellen. Nur so können wir auch künftig Vielfalt, fairen Wettbewerb und Innovationskraft erhalten.

Was die Gewährleistung einer freien und vielfältigen Medienlandschaft in Zeiten der Digitalisierung angeht, steht die Presse vor besonderen Herausforderungen. Wenngleich ich nicht glaube, dass wir sie durch weitergehende Veränderungen an der audiovisuellen Mediendienste-Richtlinie oder durch ein Leistungsschutzrecht retten können, bin ich doch gern bereit, weiter darüber zu diskutieren wie man die seitens der Presse erstellten, professionellen, journalistisch-redaktionellen Inhalte nutzerfreundlich so verfügbar macht, dass es sich für die Presse lohnt. Sie wissen, bei dem verringerten Mehrwertsteuersatz für Ihre Inhalte bin ich ganz bei ihnen. Auch kann man weiter nachdenken, welche Rahmenbedingungen für die Presse verbessert werden müssen, um Kooperationen mit anderen Medien- und Verbreitungsformen zu ermöglichen.

Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss sich der Digitalisierung stellen. Verweildauern wie sieben Tage sind in den Mediatheken nicht mehr zeitgemäß und jungen Nutzern noch weniger zu erklären als Geoblocking. Nicht nur junge Beitragszahler möchten die Angebote unabhängig von Verweildauern nutzen können.

Ich hoffe, ich konnte einen kleinen Überblick darüber geben, welche Herausforderungen noch auf uns warten und dass ich zudem deutlich machen konnte, wie wichtig diese Veranstaltungsreihe auch künftig sein könnte. Denn ich habe nicht gesprochen über Urheberrecht, das Recht auf Privatkopie oder über Buchpreisbindungen, die europäisch abzusichern sind. Und ich habe nicht gesprochen über die wichtigen Fragen des Datenschutzes und der Datensicherheit sowie über viele weitere Aspekte einer digitalen Gesellschaft.
Schön wäre, wenn wir uns in Brüssel Diskussionsforen dieser Art erhalten könnten – und das sage ich als überzeugte Nordrhein-Westfälin – wenn NRW hier eine Vorreiterrolle übernimmt und so wesentlich mit dazu beitragen würde, das wir schneller voran kommen und vor allem gemeinsam in eine Richtung laufen, die einer pluralen, demokratischen und auf universelle Teilhabe ausgerichteten digitalen Gesellschaft dient.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und ich freue mich auf diese und hoffentlich viele weitere Diskussionen mit Ihnen.