Aktuelle Plenarwoche in Straßburg

© Europäisches Parlament Bild: Europäisches Parlament

Sozial versus konservativ – Kampfkandidatur um die Parlamentsspitze – Wahl am Dienstag, 17.01.2017; erster Wahlgang 9 bis 11 Uhr, zweiter Wahlgang 11 bis 12 Uhr, dritter Wahlgang 13 bis 14 Uhr, vierter und finaler Wahlgang 15.30 bis 16.30 Uhr

Hintergrund: Um die Nachfolge von Martin Schulz im Amt des Parlamentspräsidenten kommt es zur Kampfabstimmung. Schulz wird der Wahl des neuen Präsidenten vorsitzen. Der neue Präsident wird dann den Vorsitz bei der Wahl der 14 Vize-Präsidenten und der fünf Quästoren einnehmen. Nach einer geheimen Stimmabgabe wäre der Kandidat, der die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhalten hat, zum Präsidenten gewählt. Über eine absolute Mehrheit verfügt, wer mehr Stimmen auf sich vereint als alle anderen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der Enthaltungen – also in diesem Fall 376 Stimmen der insgesamt 751 Abgeordnetenstimmen. Der EVP-Fraktion gehören 217 Abgeordnete an, der S&D 189. Hat nach drei Wahlgängen kein Kandidat die absolute Mehrheit erhalten, wird der Präsident im vierten Wahlgang mit einfacher Mehrheit gewählt. Im vierten Wahlversuch können laut der Geschäftsordnung des Parlaments nur die beiden Kandidaten des dritten Wahlgangs teilnehmen, die die meisten Stimmen bekommen haben.
SPD-Position: Für die S&D-Fraktion kandidiert der Fraktionsvorsitzende Gianni Pittella um das Amt des Parlamentspräsidenten. An der Spitze der Europäischen Union stehen bereits zwei Konservative – Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk. Die Sozialdemokraten nehmen kein christdemokratisches Monopol über die EU-Institutionen hin. Gianni Pittella wird sich für einen entschiedenen Richtungswechsel in der Europäischen Union stark machen – von einem Europa der einseitigen Austerität hin zu Solidarität, Investitionen, Wachstum und Beschäftigung. Von einem Europa, das von nationalen Egoismen geprägt ist, hin zu einer Gemeinschaft, die auf Steuergerechtigkeit und geteilter Verantwortung beruht. Dafür wollen die Sozialdemokraten mit den politischen Kräften zusammenarbeiten, die diese Ziele teilen. Soll Europa nicht den Rechtspopulisten überlassen werden, müssen Mehrheiten für eine fortschrittliche Politik in Europa organisiert werden.
EP-Position: Die konservative EVP-Fraktion, zu der unter anderem die deutsche CDU und CSU gehören, hat den Italiener Antonio Tajani zu ihrem Kandidaten gewählt. Der Jurist ist seit 1994 in Brüssel und Straßburg tätig und dem ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi eng verbunden. Als ehemaliger Industriekommissar steht er außerdem in der Kritik wegen seiner Rolle in der Abgasaffäre.
Für die liberale ALDE-Fraktion mit 68 Sitzen hat der frühere belgische Regierungschef und liberale Fraktionschef Guy Verhofstadt seine Kandidatur erklärt. Die belgische Abgeordnete Helga Stevens tritt für die konservativen EU-Skeptiker der EKR-Fraktion mit 74 Sitzen an. Eleonora Forenza aus Italien wird als Kandidatin der Linksfraktion, die mit 52 Sitzen vertreten ist, ins Rennen um die Präsidentschaft geschickt. Die 50 Sitze starke Grünen-Fraktion hat die Britin Jean Lambert nominiert. Der Italiener Piernicola Pedicini von der 5-Sterne-Bewegung vertritt die EU-skeptische und rechtspopulistische EFDD-Fraktion mit 44 Abgeordneten. Für die rechtspopulistische und teils rechtsextreme ENF-Fraktion mit 39 Abgeordneten geht der Rumäne Constantin Laurentiu Rebega an den Start.
Ausblick: Die Wahl ist umgehend wirksam. Die Ansprache zum Amtsantritt kann der neue Präsident direkt nach seiner Wahl halten – wie vor fünf Jahren – oder auch später. Die Amtszeit des Präsidenten sowie der Vizepräsidenten und Quästoren beträgt zweieinhalb Jahre, das heißt die Hälfte einer Wahlperiode. Sie kann verlängert werden.

Sozialrechte in Europa durchsetzen – Initiativbericht; Debatte am Donnerstag, 19.01.2017, 9 bis 11.50 Uhr; Abstimmung am Donnerstag, 19.01.2017, ab 12 Uhr; Jutta STEINRUCK MdEP, beschäftigungspolitische

Hintergrund: Während beispielsweise wirtschafts- und finanzpolitische Gesetze auf EU-Ebene eine bedeutende Rolle spielen, hat die Europäische Union in puncto Sozialgesetzgebung noch großen Aufholbedarf. Nun hat die Europäische Kommission eine „Europäische Säule der Sozialen Rechte“ (ESSR) angekündigt. Dabei handelt es sich um eine Initiative zur Weiterentwicklung der sozialen Dimension der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Ihre konkrete Ausgestaltung stützt sich unter anderem auf die Befragung von Sozialpartnern sowie Bürgerinnen und Bürgern durch die Kommission bis Ende des Jahres 2016. Der Initiativbericht wird federführend im Beschäftigungsausschuss des Europaparlaments erarbeitet – von der Vizevorsitzenden der Sozialdemokratischen Fraktion, Maria João Rodrigues.
EP-Position: Bei der Abstimmung des Initiativantrags im Beschäftigungsausschuss im Dezember konnte sich die sozialdemokratische Fraktion mit einer Reihe von Vorschlägen durchsetzen. Unter anderem wurde die Forderung nach einer EU-Richtlinie zu gerechten Arbeitsbedingungen für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Bericht aufgenommen. Dabei geht es auch um neue, prekäre und digitale Beschäftigungsverhältnisse. Ebenso ist nun die Forderung nach einem Verbot von Null-Stunden-Verträgen, einer Kindergrundsicherung und einer ‚silbernen Regel‘ für Sozialinvestitionen enthalten. Letztere besagt, dass bestimmte öffentliche soziale Investitionen, die positive Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum haben, zum Beispiel Kinderbetreuung oder schulische und berufliche Bildung, bei der Bewertung von beispielsweise Staatsdefiziten berücksichtigt werden. Die Forderungen nach einem Mindesteinkommen und einem Sozialprotokoll, das soziale Rechte überprüfbar gemacht hätte, hat die Mehrheit des Sozialausschusses hingegen abgelehnt – gegen sozialdemokratischen Einsatz.
SPD-Position: Während das konservative Lager kaum zusätzliche EU-Sozialgesetze anstrebt, drängt die sozialdemokratische Fraktion auf Rechtsvorschriften, um der Sozialen Säule die nötige Schlagkraft zu verleihen. Schlupflöcher, die zu atypischer Beschäftigung mit der daraus resultierenden Armut und Unsicherheit im Leben vieler Bürgerinnen und Bürger führen, müssen endgültig geschlossen werden. Kernforderungen sind faire Beschäftigungsverhältnisse und die Bekämpfung von Armut. Beschäftigung muss oberste Priorität im EU-Investitionsplan bekommen.
Ausblick: Der Ball liegt nach der Abstimmung bei der EU-Kommission. Wichtig ist, dass die Soziale Säule keine Absichtsbekundung bleibt, sondern konkrete Maßnahmen folgen. Diskussionen, dass Europa für die Menschen im Alltag nicht erfahrbar sei, wurden zuletzt durch das Brexit-Votum bestärkt. Ihnen könnte mit Sozialgesetzen Wind aus den Segeln genommen werden. Wenn das Ziel eines „Sozialen Europas“ mit konkreten Rechtsvorschriften vorangetrieben wird, könnte das Bürgerinnen und Bürgern wieder stärker von der EU überzeugen und die dringend nötige Mobilisierung zur Europawahl 2019 erleichtern.

Finanztransaktionssteuer – Spekulanten an Krisenkosten beteiligen
Debatte zum Verhandlungsstand mit EU-Kommission und Rat am Mittwoch, 18.01.2017, ab 20.30 Uhr

Nunmehr zehn EU-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, verhandeln seit Februar 2013 über die Einführung einer europäischen Finanztransaktionssteuer, um Spekulanten an Krisenkosten zu beteiligen. Im Europäischen Parlament fordert eine breite, von den Sozialdemokraten angeführte Mehrheit einen raschen Abschluss der Verhandlungen. Durch erfolgreiche Vermittlungsbemühungen des sozialdemokratischen EU-Finanzkommissars Pierre Moscovici schien im Oktober 2016, nach Jahren des mühsamen Ringens, endlich ein Durchbruch erreicht. Jedoch wurde der erreichte Fortschritt von Regierungsvertretern im Dezember umgehend wieder einkassiert. Die Rolle des Bundesfinanzministers dabei auszuleuchten, könnte durchaus von Interesse sein. Das Projekt liegt seitdem aus bislang nicht öffentlich bekannten Gründen auf Eis. Am Mittwoch werden Vertreter des Europäischen Rats dem Europaparlament Rede und Antwort stehen müssen.

Verschärfung der Schwarzen Liste gegen Geldwäsche – Entschließung; Abstimmung am Donnerstag, 19.01.2017, ab 12 Uhr

Die Sozialdemokraten wollen, dass die EU-Kommission ihre Schwarze Liste von Ländern überarbeitet, die ein Risiko im Sinne von Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung darstellen. Derzeit enthält die Liste elf Länder, einschließlich Afghanistan, Irak, Bosnien und Herzegowina und Syrien – es fehlen aber Länder wie beispielsweise Panama oder die Bahamas. Über einen entsprechenden Entschließungsentwurf soll am Donnerstag abgestimmt werden. Der Vorschlag der EU-Kommission soll zurückgewiesen, die schwarze Liste erweitert werden, u.a. durch stärkere Berücksichtigung des Kriteriums wie sorgfältig Staaten gegen Steuerdelikte und Geldwäsche vorgehen.

Notfallhilfe für Flüchtlinge bei Kältewelle – Mitteilung an die EU-Kommission am Donnerstag, 19.01.2017, ab 9 Uhr

Die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament fordern die EU-Kommission und den Rat auf, die humanitäre Soforthilfe der EU für Flüchtlinge und Migranten zu aktivieren, die unter lebensbedrohlichen Wetter- und Wohnbedingungen in Griechenland und in den Balkanstaaten leiden. Die Aktivierung muss im Fall einer akuten oder potenziellen Katastrophe vom Rat auf der Grundlage eines Vorschlags der EU-Kommission gefasst werden. Das Instrument wurde im März 2016 ins Leben gerufen um Kapazitäten für die unionsinterne Bereitstellung von humanitärer Hilfe zu schaffen und um die Länder zu unterstützen, die mit einer großen Anzahl von Flüchtlingen und Migranten konfrontiert sind.

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