Sehr geehrte Frau Wieland,
Sehr geehrte Frau Böhm,
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,
„In Vielfalt geeint“ – so lautet das Motto der Europäischen Union – ein Motto das allseits bekannt und anerkannt zu sein scheint.
Doch obwohl das Projekt Europa seit seiner Gründung stetig wuchs und gedieh und nach wie vor ein einzigartiges Modell diplomatischer Beziehungen und gemeinsamer Wertvorstellungen darstellt
schüren aktuelle Brennpunkte wie die Uneinigkeit im Umgang mit Migration, Volksentscheide wie der BREXIT und dem daraus resultierenden Austritt Großbritanniens aus der EU, eine nie da gewesene Unsicherheit unter den Bürgerinnen und Bürgern der EU hinsichtlich der Notwendigkeit unserer Staatengemeinschaft.
Hinzu kommen ökonomische Unsicherheiten, insbesondere wegen der sich verändernden internationalen Handelsbeziehungen, sowie ein von schweren Konflikten, Verwerfungen und der Verschiebung von Machtverhältnissen geprägtes globales Umfeld, die die Menschen zweifeln lassen.
Dies resultiert in intensiven Auseinandersetzungen um das „heute“ und vor allem das „morgen“ des europäischen Projektes,
und damit verbunden leider auch eine zunehmende Rückbesinnung auf das Nationale, das uns Trennende. Diese Entwicklung können wir in vielen Mitgliedstaaten beobachten. Sei es in Ungarn, in Polen, in Österreich, in Italien oder vor unserer eigenen Haustür durch das Erstarken der AfD.
Nationale Traditionen und Identitäten kommen wieder verstärkt in Mode, während Europa und die europäische Idee vielerorts als überholt, elitär und zu weit vom persönlichen Alltag entfernt wahrgenommen wird.
Ich bin davon überzeugt, dass die Grundlagen für diese Empfindung vor allem darin liegen, dass sich das „Europäische Projekt“ über die vergangenen Jahrzehnte viel zu einseitig auf die Wirtschaftspolitik konzentriert hat.
Insbesondere Wachstum und Wohlstand standen lange Zeit im Mittelpunkt, nicht nur aber vor allem der europäischen Politik.
Wirtschaftliche Interessen allein reichen jedoch nicht aus, um die erforderlichen Bindungskräfte zu entfalten, damit ein politisches Projekt wie das uns Gemeine fortbestehen kann. Eine solche Fokussierung der Politik macht es den Bürgerinnen und Bürgern nicht gerade leicht, sich mit Europa zu identifizieren.
Dies hat sich in aller Deutlichkeit während und nach der fast allgegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise gezeigt: Es verwundert mich nicht, dass in dem Moment, in dem die Wahrnehmung der EU als ein langfristiges wirtschaftliches Erfolgsprojekt Risse bekam, Populismus, Nationalismus und politischer Extremismus in ganz Europa enormen Auftrieb erhalten haben.
Dabei haben grade die EU-kritischen Kräfte erkannt wie sehr Kultur Menschen emotional berühren kann und haben diese oftmals als Aufhänger ihrer politischen Agenda genutzt – indem sie Kultur und Traditionen als etwas hervorheben, dass uns unterscheidet, uns trennt, unüberbrückbar zu sein scheint.
Ja, Kultur ist, was uns unterschiedlich macht. Auch deswegen kommt ihr ein so wichtiges identitätsstiftendes Moment zu. Doch Kultur ist gewiss nichts, was uns trennt, sondern uns verbindet: von einem Mitgliedstaat zum anderen, von Land zu Stadt, von alt zu neu, von der Vergangenheit in die Zukunft.
Mit dem Europäischen Kulturerbejahr, das wir dieses Jahr feiern, soll genau dieser Aspekt Wiedereinzug in die Erzählung über Europa halten. Das Jahr soll dazu dienen, die Menschen über unser gemeinsames kulturelles Erbe näherzubringen, das Einende anstatt das Trennende stärker in den Vordergrund zu stellen. Kultur- und gesellschaftspolitisch ist das Kulturerbejahr daher eine überaus wichtige Initiative.
Mindestens genauso wichtig ist in diesem Zusammenhang meines Erachtens jedoch die Arbeit, die von Kulturinstitutionen, wie Museen, Gedenkstätten, Bibliotheken und und und Tag ein und Tag aus, bereits vor 2018 und auch danach getätigt wird. Mit ihren Angeboten sind sie ein Motor für europäische Verständigung.
Natürlich fokussieren sie oft auf lokale, regionale oder nationale Eigenheiten, auf die jeweilige Geschichte, einen spezifischen Künstler und sein wirken. Gleichzeitig erzählen sie aber auch oftmals eine europäische Geschichte, die Geschichte der „Einheit in Vielfalt“.
Das Deutsche Bergbau-Museum in Bochum ist nicht nur einer der Organisatoren des heutigen Abends sondern auch ein einleuchtendes Beispiel dafür, dass Kulturinstitutionen einen wichtigen Beitrag dazu leisten, das „europäische Projekt“ näher an den Alltag der Menschen zu bringen.
Nach fast sieben Monaten Laufzeit endete dort vor 10 Tagen die große Gemeinschaftsausstellung von Ruhr Museum und Deutschem Bergbau-Museum Bochum (DBM) „Das Zeitalter der Kohle. Eine europäische Geschichte“.
Erstmals wurden in einer Ausstellung die Geschichte und die Möglichkeiten des Stoffs Kohle aus einer europäischen Perspektive präsentiert. Kohle ist nämlich nicht nur ein bedeutender Faktor für das Wirtschaften und Arbeiten im Ruhrgebiet gewesen. Sie hat eine ebensolche Rolle in den Benelux-Staaten, Großbritannien, Frankreich und Polen gespielt. Die Kohle ist zudem einer der Gründe dafür gewesen, dass die Europäische Union überhaupt gegründet wurde.
Das Beispiel zeigt, dass die Geschichte, die Traditionen und die Kultur, die wir vor unserer Haustür vorfinden, nie getrennt von dem großen Ganzen betrachtet werden kann – oder sagen wir besser „sollte“. Es gibt immer die Regionen-, Länder- und selbst Kontinenten-umspannende Geschichte zu erzählen.
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Angesichts der eingangs genannten Herausforderungen mag mancher geneigt sein, Kultur nicht als politische Priorität, weniger noch als zentrales Instrument zur Bewältigung eben dieser Herausforderungen, zu erkennen.
Doch ich wage genau diese Behauptung: Kultur ist das zielführendste und zugleich breitenwirksamste Mittel, um tragfähige Antworten auf die Frage nach der Zukunft Europas zu erhalten, und jener grundsätzlichen Krise des Kontinents zu begegnen, die vor allem eine tiefliegende Identitätskrise zu sein scheint.
In diesem Sinne hoffe ich sehr, dass das Europäische Kulturerbejahr die notwendige Anschubkraft für ein Mehr an gemeinsamen Anstrengungen in der Kulturpolitik hatte.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Die Veranstaltung wurde organisiert von der Leibniz-Gemeinschaft und dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum