„Möchte das EU-Parlament das Internet abschaffen?“

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Rede am 22. November anlässlich der Veranstaltung der SPD-Remscheid zur Reform des Urheberrechts

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Genossinnen und Genossen,

„Schock im Kinderzimmer“ – so wurde kürzlich ein in einer großen deutschen Tageszeitung veröffentlichter Artikel betitelt. Mir wurde er von einem besorgten Vater aus dem Kreis Ratingen mit folgendem Kommentar zugeschickt:

„Der Artikel sollte Sie meiner Meinung nach dringend interessieren, denn aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass meine 12 und 14 Jahre alten Töchter im Moment nichts als Hass auf die EU verspüren – und das trotz meiner regelmäßigen faktenbasierten Aufklärung.“

Kurz darauf kam eine Email von einem 13-jährigen jungen Mann aus meinem Betreuungsgebiet in meinem Postkasten an. Er schrieb mir von seinen Sorgen, dass es die für ihn durchaus sehr relevante Internetplattform YouTube bald vielleicht nicht mehr geben könnte.

Auslöser des Ganzen: Das Gesetzgebungsvorhaben zur Anpassung des europäischen Urheberrechts an das digitale Zeitalter, welches derzeit in Brüssel verhandelt wird, und ein Video von zwei YouTubern, die ihren jungen Followern von den Entwicklungen berichten.

2,5 Millionen Menschen schauen sich das Video an. Mehrere Tausend Kommentare werden hinterlassen. Die meisten sind schockiert. Das Video mit dem Namen „Warum es Youtube nächstes Jahr nicht mehr gibt“ findet sich mehrere Tage lang auf Platz 1 der erfolgreichen Internetplattform.
Ich kann Sie beruhigen. Ich habe dem Vater und dem 13-jährigen jungen Mann bereits mitgeteilt, dass die EU Youtube natürlich nicht abschalten möchte. Das Video stellt die Tatsachen meiner Meinung nach etwas sehr reißerisch dar.

Dass sich Internetdienste und die Möglichkeiten ihrer Nutzerinnen und Nutzer aufgrund der geplanten Regelungen zum Urheberrecht in Zukunft ändern könnten, daran allerdings besteht kaum Zweifel.

Doch gehen wir erstmal zum Anfang der Geschichte.

Die Reform des europäischen Urheberrechts und seine Anpassung an die Bedürfnisse der digitalen Welt beschäftigt uns Europaabgeordnete spätestens seit der von der EU-Kommission veröffentlichten Strategie für die Schaffung eines Europäischen Digitalen Binnenmarkts im Jahr 2015.

Im September 2016 kam dann der Richtlinienentwurf zum Urheberrecht im digitalen Zeitalter hinterher, über den EU-Parlament und nationale Regierungen seither beraten und der wie erwähnt auch öffentlich sehr kontrovers diskutiert wird.

Grundsätzlich beinhaltet dieses Gesetzgebungsvorhaben viele wichtige und positive Aspekte.

So geht es zum einen um die Stärkung der Position der Urheberinnen und Urheber gegenüber ihren Vertragspartnern, also beispielsweise das Verhältnis zwischen einem Drehbuchautor und dem Fernsehsender, dem er sein Drehbuch verkauft und der damit Einnahmen generiert.

Urheberinnen und Urheber sollen in Zukunft ein Recht auf faire Vergütung erhalten. Sie können mehr Transparenz seitens ihrer Vertragspartner einfordern und in diesem Sinn ihre Verträge anpassen, wenn ihr Vertragspartner mit ihrem Werk sehr viel mehr Gewinn macht als ursprünglich erwartet.

Zum anderen geht es darum, in den Bereichen Bildung und Forschung mehr Rechtssicherheit bei der Verwendung und Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken herzustellen.

In der heutigen Informationsgesellschaft ist es elementar, dass Wissen geteilt wird, um neues Wissen zu generieren. Und somit ist es wichtig, dass Lehrerinnen und Lehrer im Unterricht rechtssicher – auch digital und grenzüberschreitend – auf eine Vielzahl von Werken für den Zweck der Veranschaulichung zurückgreifen können.

Bezüglich der Forschung soll die Urheberrechtsrichtlinie gewährleisten, dass Forschungseinrichtungen durch sogenanntes Text- und Data-Mining Informationen wie Texte, aber auch Töne, Bilder oder Daten, die in digitaler Form vorliegen, mit Hilfe von Computern automatisch auswerten und auf diese Weise riesige Informationsmengen verarbeiten, neue Erkenntnisse gewinnen und Trends entdecken können.

Ich könnte noch etliche weitere Beispiele nennen, die klarmachen, dass die Richtlinie viele positive Entwicklungen herbeiführen wird und einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen von Urheberinnen und Urhebern, Rechtenutzern sowie der Allgemeinheit schafft.

In einem Punkt wird die Richtlinie diesem Interessenausgleich allerdings nicht gerecht. Und hier sind wir wieder bei dem eingangs erwähnten Punkt: neue Urheberrechtsregeln für Online-Plattformen, die Zugang zu von ihren Nutzerinnen und Nutzern hochgeladene Inhalte anbieten. Die Rede ist von Video-Sharing-Plattformen wie Youtube, Foto-Sharing-Plattformen wie Instagram, sozialen Medien wie Facebook, Musik-Sharing-Plattformen wie SoundCloud, und und und.

Nutzer laden auf diesen Plattformen verschiedene Arten von Inhalten hoch: Fotos, Videos, Texte, Tonaufnahmen. Manches davon erstellen sie selbst. Für manche Inhalte verwenden sie urheberrechtlich geschützte Werke Dritter, beispielsweise, wenn sie ein Reisevideo mit Musik untermalen wollen. Manchmal laden sie jedoch auch ganze Werke Dritter hoch, zum Beispiel Filme, Serien oder Lieder.

Der Urheber geht dabei meistens leer aus – mangels Kenntnis, finanzieller Ressourcen und Erfolgsaussichten gegenüber international agierenden Firmen bzw. den kaum zu bestimmenden Rechtsverletzern, den Nutzern, da diese oftmals anonym im Netz unterwegs sind.

Dies stellt definitiv ein Problem dar und es besteht zweifelsohne gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Denn Urheberrechte dürfen auch in der digitalen Welt nicht ausgehöhlt werden. In dieser Zielbestimmung sind sich alle einig! Streit gibt es aber darüber, den richtigen Weg zur Erreichung dieses Ziels zu finden.

Durch das Gesetzgebungsvorhaben sollen Online-Plattformen nun in die Pflicht genommen werden. Sie sollen Lizenzverträge mit Rechteinhabern abschließen und für Urheberrechtsverstöße in den von ihnen verbreiteten Inhalten haftbar gemacht werden.

Dieses Haftungsprinzip führt jedoch dazu, dass die Plattformen, alle hochgeladenen Inhalte auf Urheberrechtsverletzungen überprüfen werden müssen, um einer möglichen Haftung und damit verbundener Strafen vorzubeugen. Das Ergebnis: Upload-Filter.

Diese sind für die Online-Plattformen das einfachste und letztlich auch einzige mögliche Mittel, um die vorgesehenen Regeln umzusetzen. Denn Upload-Filter machen es möglich, dass nur solche Inhalte auf ihren Plattformen hochgeladen werden, die klar als nicht urheberrechtswidrig eingestuft werden können oder bei denen sicher ist, dass die nötigen Lizenzen eingeholt wurden. Alles andere wird von Upload-Filtern geblockt beziehungsweise gelöscht.

Ich halte die Einrichtung einer solchen Infrastruktur für höchst problematisch. Aus mehreren Gründen:

1. Das Prinzip der Upload-Filter stellt jeden Nutzer der genannten Dienste unter einen Generalverdacht. Denn der Einsatz von Upload-Filtern würde dazu führen, dass jeder nutzergenerierte Inhalt beim Upload erst einmal kontrolliert und mit sogenannten Referenzdateien verglichen würde.

Doch nicht jedes Video, das bei YouTube hochgeladen wird, stellt eine Urheberrechtsverletzung dar. Nicht jedes Bild, das von einem Nutzer auf Instagram eingestellt wird, ist unrechtmäßig.

Im EU-Parlament wurde schon öfter darüber diskutiert, ob Upload-Filter auf Online-Plattformen verwendet werden sollten. Doch sowohl in Bezug auf pornographische Inhalte als auch in Bezug auf Inhalte, die zu Terrorismus anstacheln, hat sich das Parlament in der Vergangenheit dagegen entschieden.

Diese ablehnende Haltung des Parlaments wurde immer damit begründet, dass wir keinen Internetnutzer unter einen Generalverdacht stellen und insbesondere kein Risiko eingehen wollen, Grundrechte – welcher Art auch immer – einzuschränken.

Wenn es um die Durchsetzung von Urheberrechten geht, dürfen wir die Grund- und Freiheitsrechte ebenso wenig aus den Augen verlieren.

Solche Maßnahmen würden zu weitreichenden Kollateralschäden für die Kommunikationsfreiheit führen.
Aufgrund des Haftungsrisikos würde das Einstellen „unbekannter“ Inhalte unterbunden werden.

In der Konsequenz könnten offene Plattformen, wo quasi jeder Bürger zum Fotografen, zum Videoproduzenten oder Verfasser von Texten wird, könnten dadurch bald Geschichte sein.

Diese Plattformen würden zu Vermittlern von Premium-Inhalten gemacht. Die mannigfachen Kommunikationsmöglichkeiten im Internet würden massiv eingeschränkt werden, mit weitreichenden gesellschaftlichen, aber auch kulturellen Konsequenzen. Das kann nicht in unserem Sinn sein.

2. Filter sind blind. Sie vergleichen hochgeladene Inhalte mit einer Datenbank von Referenzdateien und agieren dabei in dem Rahmen, wie sie programmiert wurden.

Wenn nun jemand beispielsweise eine exakte Kopie eines urheberrechtlich geschützten Fotos auf einer Foto-Sharing-Plattform hoch lädt, würde der Filtermechanismus dieses Foto vermutlich sperren bzw. würde der Rechteinhaber entscheiden, ob das Foto gesperrt oder monetarisiert werden soll.

Wenn der Nutzer das Foto jedoch in einer veränderten Art und Weise auf der Plattform einstellt oder ein Foto einstellt, das wiederum ein anderes urheberrechtlich geschütztes Werk abbildet – sagen wir mal eine Skulptur oder ein Gemälde – dann ist mehr als fraglich, ob der Upload-Filter den Urheberrechtsverstoß erkennt.

Schlimmer kommt es, wenn ein Upload-Filter hoch geladene Inhalte blockiert, die eigentlich legal sind. Was passiert zum Beispiel, wenn ein Nutzer in einem Video nur einen Ausschnitt eines urheberrechtlich geschützten Werkes verwendet und sich auf das Zitatrecht bezieht? Was passiert, wenn jemand eine Parodie erstellt? Was passiert, wenn sich jemand mehrerer Werke bedient und einen Remix kreiert?
Upload-Filter basieren auf Algorithmen. Diese sind nicht in der Lage, eine Urheberrechtsverletzung von einer legalen Verwendung von geschützten Werken zu unterscheiden. Fälschlicherweise herausgefilterte Inhalte erscheinen damit gar nicht erst online. Satire, Parodie oder vom Zitatrecht gedeckte Verwendungen sind in Gefahr.

3. Wenn Upload-Filter für die Kontrolle von Lizenzvereinbarungen eingesetzt werden, würden große Anbieter noch größer und die Entwicklung neuer Dienste verhindert werden.

Es ist nämlich nicht so, dass diese Technologien nichts kosten. Sie sind mit einem erheblichen finanziellen und personellen Aufwand verbunden. Für die großen international-agierenden Plattformen stellen Investitionen dieser Art vermutlich weniger ein Problem dar. Für sich neu entwickelnde Plattformen kann man aber definitiv von einer Eintrittshürde in den Markt sprechen.

Uns allen geht es aber immer auch darum, die Marktmacht der großen Akteure zu verringern beziehungsweise ihr gesetzlich etwas entgegenzusetzen. Genau das Gegenteil wäre jedoch der Fall.

Sie sehen – die Sorgen sind vielseitig, und das nicht nur bei der Netz-affinen jungen Generation.

Ich teile sie und habe deshalb bei der Plenarabstimmung im EU-Parlament vor einigen Wochen gegen den Richtlinienentwurf gestimmt. Eine konservative Mehrheit hat sich aber durchsetzen können.

Ich hoffe dennoch, dass insbesondere meine konservativen Kolleginnen und Kollegen im EU-Parlament in den kommenden Wochen zur Vernunft kommen und in den Verhandlungen mit den nationalen Regierungen eine Lösung erarbeiten werden, die einerseits Grundrechte wie die Meinungs- und Kunstfreiheit respektiert und andererseits unsere jungen Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht gänzlich verprellt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.