Sehr geehrte Ministerin Andronescu,
Sehr geehrter Kommissar Navracsics,
Sehr geehrte Frau Enbner,
verehrte Gäste,
Die Zukunft des Lernens ist entscheidend für die Zukunft der gesamten EU. Bis 2025 wird ein Europäischen Bildungsraum entstehen, der das Potenzial der Bildung und Kultur als Motor für Beschäftigung, Wachstum und soziale Gerechtigkeit verstärkt ausschöpfen soll.
Der Europäische Bildungsraum soll unter anderem folgende Eckpunkte umfassen:
• eine qualitativ hochwertige und für alle Kinder bis 5 Jahren kostenfreie frühkindliche Erziehung;
• dass jeder Abiturient mindestens zwei Fremdsprachen gut beherrscht;
• das einwandfreie Funktionieren der automatischen Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen;
• einen Europäischen Studierendenausweis sowie Europäische Universitäten;
Nur, leider wird der derzeit in der EU betriebene Aufwand für die Erreichung dieser Ziele bei Weitem nicht ausreichen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten investieren deutlich zu wenig um ihrem Anspruch, weltweit führend in der Bildung zu sein, gerecht zu werden. Wird dieser Wunsch nach einem Europäischen Bildungsraum bis 2025 verfehlt, werden wir die negativen Effekte in der gesamten Gesellschaft zu spüren bekommen. Ohne sofortiges und entschlossenes Handeln werden wir den Fachkräftemangel in der gesamten EU nicht mehr rechtzeitig abfedern können.
Nicht umsonst steht inklusive und qualitativ hochwertige Bildung an erster Stelle der 2017 geschaffenen Europäischen Säule sozialer Rechte. Dass dafür 5% des Bruttoinlandsprodukts der Mitgliedstaaten nicht ausreichen werden, ist offensichtlich – und ist angesichts der immensen Bedeutung der Bildung für die Zukunft Europas unangemessen! Bei diesem Wert befinden wir uns EU-weit nämlich heute schon, während die nordeuropäischen Staaten etwa 7% ihres Bruttoinlandsprodukts in die Bildung investieren. Ich denke, wir sollten diese 5% bis 2025 mindestens verdoppeln!
Wir müssen Wege finden, wie wir gemeinsame Herausforderungen und Probleme im Bereich der Bildung europäisch bewältigen. Bildungspolitik muss mehr als gesamteuropäische Aufgabe gesehen werden. Nichts Anderes macht Sinn in einem europäischen Binnenmarkt, in dem Unionsbürger in der ganzen EU leben, studieren und arbeiten.
Denn auch die Missstände im Bildungsbereich sind größtenteils gesamteuropäischer Natur. Neben dem Investitionsstau und der verschlafenen Digitalisierung gibt es noch immer keine ausreichende automatische Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen. Das ist für Hochschulen seit fast zehn Jahren versprochen!
Europa ist in der Bildung seit längerem kein Zugpferd mehr – für uns wird es in Zukunft erst einmal darum gehen, unseren Rückstand aufzuholen. Aber auch innerhalb der EU schwankt die Qualität und Höhe der Investitionen in die Bildung erheblich.
Für den Bau von state-of-the-art Bildungseinrichtungen gehen Studien von notwendigen, zusätzlichen Investitionen in Höhe von bis zu 10 Milliarden Euro jährlich aus. Darüber hinaus werden der Europäischen Investitionsbank zufolge bis zu 90 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich an operationellen Kosten benötigt, um die EU beispielsweise im Hochschulbereich auf das Ausgabenniveau der USA zu bringen. In vielen Schulen Europas fehlt es an grundlegender IT-Infrastruktur wie Breitbandinternet, Wifi und vor allem an IT-Support für Schülerinnen und Lehrende.
Neben erheblichen Investitionen – vor allem im Bereich der IT-Infrastruktur – bedarf es durchdachter und nachhaltiger Konzepte für die Bildung der Zukunft. Die Sensibilisierung und Weiterbildung von Lehrenden für die Verwendung digitaler Lernmedien hinkt hinterher. Es kann nicht sein, dass zwar digitale Methoden bereits in den Unterricht eingebunden werden – diese dann aber die gewohnten pädagogisch-didaktischen Konzepte nur ergänzen. Wir müssen Digitalkompetenzen als Schlüsselkompetenz in der Bildung festschreiben und in die curricula integrieren, denn die meisten Jobs der Zukunft werden Digitalkompetenzen voraussetzen. Gleichzeitig ist ein Großteil der Jobs in Europa von der Automatisierung der Arbeit bedroht.
Meiner Meinung nach können wir es uns schlichtweg nicht leisten, die Möglichkeiten, die uns der digitaler Wandel anbietet, auszuschlagen. Wir entwickeln zwar innovative und vielversprechende Technologien – haben dann aber Angst sie auch der Bildung zu öffnen.
Wir benötigen Konzepte, die Lehrenden Orientierung geben und ihnen Medienkompetenz vermitteln. Diese sollten außerdem technische Standards und Beratung sowie moderne didaktische Methoden umfassen. Ich bin mir sicher, dass die Schule der Zukunft sich vom Frontalunterricht und Auswendiglernen lösen wird. Lernende werden von Zuhörern zu Teilnehmern, die den Unterricht mitgestalten. Mithilfe digitaler Lernmethoden ist es möglich, Lernenden unmittelbar Feedback zu geben und den Unterricht interaktiv zu gestalten. Schulen sollten unbedingt wieder vermehrt Sozialkompetenzen und soft-skills vermitteln, beispielsweise Teamwork sowie die Fähigkeit zur Äußerung und Annahme von Kritik. Vor allem aber muss das Bildungskonzept der Zukunft potenzielle Synergieeffekte von Digitalisierung und Inklusion freigeben.
Die Erarbeitung eines solchen übergreifenden Bildungskonzeptes, das qualitativ hochwertige und inklusive Bildung sowie die Möglichkeiten der Digitalisierung zusammendenkt, muss gemeinsam mit sämtlichen Beteiligten und Interessengruppen erfolgen.
Die Inklusivität der Bildungseinrichtungen sowie die pädagogisch-didaktisch sinnvolle Integration digitaler Lernmedien werden die Schwerpunkte zukünftiger Bildungspolitik sein. Denn genau dort liegt der Schlüssel für eine erfolgreiche Bildungspolitik. Während die freie Wirtschaft das Potenzial schon längst erkannt hat, verschlafen wir die Digitalisierung. Ein Beispiel: Das Handyverbot an Schulen halte ich für eine Bankrotterklärung, gerade wenn wir bedenken, dass Schulen notwendige IT-Infrastruktur oft nicht selbst bereitstellen können. Eine Bring-your-own-device Policy in Schulen könnte helfen die negativen Folgen des Investitionsstaus abzudämpfen und die Informationsversorgung des Unterrichts erheblich verbessern. Statt weiterhin Verbote auszusprechen müssen wir Schülerinnen Medienkompetenz vermitteln und ihnen Wege zeigen, das schier unendliche Informationsangebot im Internet differenziert einzuordnen. Angesichts der Verbreitung von Fake-News sowie immer häufiger auftretenden Datenskandalen muss die kritische Auseinandersetzung mit Digitalmedien fester Bestandteil der Bildung werden. Der digitale Wandel hat unsere Welt schließlich fundamental verändert – (und) die Bildungspolitik muss diese Tatsache endlich ernst nehmen.
Ein europäischer Bildungsraum muss kritisches Denken anregen und die gemeinsamen, demokratischen Werte der EU vermitteln. Das beinhaltet insbesondere die Förderung der politischen Partizipation und aktiven Unionsbürgerschaft von Lernenden. Auf diesen Werten und Zielen aufbauend muss ein Europäischer Bildungsraum echte Inklusion bieten und Zugang zu hochwertiger, allgemeiner und beruflicher Bildung sowie lebenslangen Lernen für wirklich alle garantieren.
Die Forschung belegt, dass Kinder, deren Eltern ein hohes Maß an formeller Bildung haben, noch immer deutlich besseren Zugang, Aufstieg und Erfolg in den Bildungssystemen haben. Es ist deutlich wahrscheinlicher, dass diese Kinder an frühkindlicher Erziehung teilnehmen, dass sie später gute Noten schreiben und eine Hochschule besuchen. Die Kommission sollte also dringend konkretisieren, ob und mit welchen Maßnahmen sie vorhat die Durchlässigkeit der Bildung zu verbessern. Ernstgemeinte Bildungsinklusion erfordert die Unterstützung der Lehrerenden durch qualifiziertes Personal. Wir können Lehrern nicht immer mehr Aufgaben aufbürden und gleichzeitig erwarten, dass die Qualität der Lehre auch noch steigt.
Ein Europäischer Bildungsraum muss auch das Recht auf Bildung von Migrantinnen und Geflüchteten sicherstellen und ihre Integration in die Bildungssysteme und den Arbeitsmarkt aktiv vorantreiben. Die faire, schnelle und transparente Anerkennung von Bildungsabschlüssen von Geflüchteten ist dafür unabdingbar. Und ebenso die gezielte Sprachbildung – nur so kann Integration gelingen.
Angesichts der immensen Unterschiede in der Fremdsprachenkompetenz zwischen den Mitgliedstaaten sollten wir aber auch generell das Erlernen von Fremdsprachen verstärkt mit europäischen Mitteln fördern. Neben dem formalen Lernen müssen wir das nicht-formale und informelle Lernen stärken sowie die Validierung von Lernergebnissen erleichtern. Digitale und Online-Lernmedien besitzen beim Erlernen von Fremdsprachen ein großes Potenzial, das sich beispielsweise durch Zertifizierung und Qualitätssicherung von Sprachlernprogrammen durch offizielle Stellen besser ausschöpfen lässt.
Gerade Blended Learning, also die Kombination von Präsenzlehre sowie digitalem und Online-Lernen, kann eine sinnvolle Ergänzung sein sowie das Bildungsangebot in dünn besiedelten Regionen verbessern und dadurch dem Brain-Drain entgegenwirken. Allerdings sollten digitale Lernmedien nicht dafür genutzt werden, Präsenzbildung zu ersetzen – sondern um sie effizient zu ergänzen. Das Ziel muss sein, eine optimale Balance zwischen verschiedenen Lernformen zu finden. Allerdings sollte das Lernen auch in Zukunft hauptsächlich durch direkte Kommunikation – also gemeinsam und öffentlich, stattfinden.
Nicht nur aufgrund der zunehmenden Mobilität würde mehr Mehrsprachigkeit einen echten Vorteil für die EU darstellen. Mehrsprachigkeit kann das gegenseitige Verständnis verbessern und stärkt die europäische Sprachenvielfalt. Außerdem fördert sie das kulturelle Bewusstsein und den sozialen Zusammenhalt in der EU, ganz abgesehen von den individuellen Vorteilen für Lernende. Die Bedeutung der kulturellen Bildung muss zukünftig deutlich aufgewertet werden. Denn sie ermöglicht die Begegnungen von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Alters und regt somit zur Offenheit für Neues und bisher Fremdes an. Eine stärkere Einbeziehung der kulturellen Bildung wird die soziale Inklusion und kulturelle Vielfalt stärken und zu mehr Bildungsgerechtigkeit in Europa beitragen. Die Aufnahme der Kunst in die Schlüsselkompetenzen ist richtig und wichtig – allerdings ist bislang nicht ganz klar, wie die Kommission die Integration der Kunst in die Bildungssysteme der Mitgliedstaaten umsetzen möchte. Einen Satz noch zur historischen Bildung: Sie ist unabdingbar für die Stabilität unserer demokratischen Gesellschaften. Wer beispielsweise nichts über das Judentum weiß, wird deshalb zwar nicht antisemitisch. Ohne historische Bildung ist die couragierte und aktive Unionsbürgerschaft weit weniger wahrscheinlich.
Mehr Digitalisierung und kulturelle Bildung eröffnen also gerade im Aufbau eines inklusiven und europäischen Bildungsraums neue Möglichkeiten. Bildungspolitik muss endlich wieder das Versprechen des sozialen Aufstiegs durch Bildung erfüllen. Die Anschlussfähigkeit und Durchlässigkeit von Bildungssystemen muss hergestellt und – ganz wichtig – transparent und sichtbar gemacht werden. Dass wir die hohen Ziele in der Bildungspolitik nicht erfüllen ist mit Sicherheit auch ein Grund für den anhaltenden Vertrauensverlust in die etablierten Parteien und politischen Institutionen. Es ist überfällig, dass die Politik wieder liefert, wenn es um die Bildung geht. Die Maßnahmen der Kommission für den Aufbau eines europäischen Bildungsraums sind wichtig. Und auch die Öffnung und deutliche Aufwertung des ERASMUS-Programms ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung – Nur, im Verhältnis zu den Problemen in Bildung und Arbeitsmarkt bei Weitem nicht genug! Ein verstärktes Tätigwerden der EU ist unabdingbar. Wir sollten uns der Frage stellen, ob uns die Subsidiarität eigentlich wichtiger ist als wirklich gute Bildung. Europa braucht ein neues Versprechen, das Aufstieg durch Bildung, lebenslanges und inklusives Lernen sowie Bildungsgerechtigkeit miteinander verbindet und dieses auch einlöst!
Ich danke Ihnen.