Rede auf dem European Film Forum
Sehr geehrte Kommissarin Gabriel, liebe Mariya,
Sehr geehrte Damen und Herren,
Liebe Freundinnen und Freunde des Films,
seit den Anfängen der Untertitel als Zwischentitel in europäischen Stummfilmen bis heute war es ein weiter Weg. Heute können wir Untertitel auf diversen einschlägigen Online-Plattform mit einem Klick ein- und ausschalten und in der Regel auch zwischen vielen Sprachen wählen.
Wir sind aber gewiss noch nicht da angelangt, wo wir eigentlich hinwollen. Denn die Tatsache, dass der europäische Film bei seiner internationalen Verbreitung immer noch nicht mit der amerikanischen Konkurrenz mithalten kann, liegt auch darin begründet, dass wir noch zu wenig Einsatz und Investitionen für die Untertitelung aufwenden.
Die europäische Sprachenvielfalt ist eine nicht unwesentliche Hürde bei der Verbreitung von und dem Zugang zu audiovisuellen Inhalten in der EU. Untertitelung kann jedoch helfen, diese Barriere zu überbrücken und Filmschaffenden folglich neue Absatzmärkte und ein größeres Publikum zu ermöglichen.
Sie werden mich hierfür wahrscheinlich nicht beklatschen. Ich sehe in Netflix allerdings ein sehr aussagekräftiges Beispiel hierfür:
Ein Grund für den riesigen Erfolg des Streamingdienstes ist nämlich auch die Aufbereitung des gesamten Contents mit Untertiteln in möglichst viele Sprachen. Netflix selbst betrachtet Untertitel und Synchronisation als zentrale Quelle seines Erfolges und als Chance zur weiteren Expansion. Auch wenn wir vieles andere an diesem Online-Dienst kritisch sehen mögen, können wir eines aber von Netflix lernen, nämlich, dass Untertitelung und Übersetzung mit Abstand das effektivste Mittel ist, Filme, Serien und andere kulturelle Werke einem riesigen Publikum zugänglich zu machen.
Neben ökonomischen Motiven gibt es eine Vielzahl weiterer teilweise ganz praktischer, teilweise bedeutender gesellschaftspolitischer Gründe, die dafürsprechen, in Zukunft deutlich mehr Aufwand für die Untertitelung und somit für die Zugänglichkeit kreativer europäischer Werke zu betreiben.
Denn nicht nur ist das Motto der EU „in Vielfalt geeint“, sowie die Förderung der kulturellen sowie sprachlichen Vielfalt erklärtes Ziel europäischer Politik. Artikel 11 und 14 der EU Grundrechtecharta, welche den Zugang zu Informationen und Bildung als fundamentale Menschenrechte bewerten, können auch als Gründe für größere Anstrengungen mit Blick auf die Untertitelung audiovisueller Werke herangezogen werden.
In vielen Ländern Europas – und insbesondere in Deutschland – ist das Dubbing, also die Synchronisierung von Filmen und Serien, heute jedoch immer noch sehr beliebt. Es ist oftmals unmöglich, in Kinos Filme in ihren Originalsprachen mit Untertiteln zu finden. Hier geht keiner ins Kino, um zu lesen! In Bezug auf das Fernsehen sieht es nicht anders aus. Und ich gestehe freimütig, dass auch ich mich mit untertitelten Filmen schwer tue – in Deutschland sowie in anderen Mitgliedstaaten der EU ist das schlicht nicht gelernt. Dabei weist die Synchronisierung gegenüber der Untertitelung durchaus auch Schwächen auf.
So ist es fast unmöglich, Witze und Spezifitäten aus einer Sprache 1-zu-1 in eine andere Sprache zu übersetzen und den Schauspielern dann auch noch möglichst realtitätsnah auf ihre Lippen zu legen. Untertitel machen die sinngetreue Übersetzung da schon eher möglich.
Im Gegensatz zur Synchronisation ermöglichen uns Untertitel außerdem, die Leistung von Schauspielerinnen und Schauspielern exakt so aufzunehmen, wie von Filmschaffenden beabsichtigt. Dadurch bewahren Filme und Serien ihre Originalität und Glaubwürdigkeit. Die Botschaft, die von der Betonung, Tonlage oder anderen Besonderheiten in der Stimme von Künstlerinnen ausgeht, kann in synchronisierter Fassung eine unbeabsichtigte Wirkung auf das Publikum haben. Wenn wir beispielsweise an einen Film denken, in dem verschiedene Sprachen gesprochen werden, geht diese Besonderheit durch Synchronisation oftmals komplett verloren.
Neben den künstlerischen Aspekten ist die Beibehaltung der Originalsprache eines Filmes auch eine Frage von Identität. Jede Sprache und jeder Dialekt sind letztlich Träger eines kulturellen Gedächtnisses und einer besonderen Ausdrucksfähigkeit. Sprachen geben Auskunft über politische, gesellschaftliche und kulturelle Gegebenheiten einer Sprachengemeinschaft – ganz gleich wie klein oder groß diese ist! Sprachen dienen also nicht nur der Kommunikation – nein, sie bezeugen auch das kulturelle Erbe der Menschheit.
In Europa spiegelt unsere Sprachenvielfalt die Vielfalt der europäischen Kulturen wieder, ist identitätsstiftend und fördert das harmonische Zusammenleben. Die Untertitelung audiovisueller Werke kann so einen weitaus wesentlicheren Beitrag zum interkulturellen Austausch leisten als das Dubbing, da das identitätsstiftende Merkmal -Sprache- nicht verloren geht.
Die Untertitelung von audiovisuellen Inhalten fördert neben den bereits genannten Aspekten auch die kulturelle und informationelle Teilhabe. Dies betrifft allen voran Hörgeschädigte sowie Menschen, die keine Fremdsprache beherrschen.
Diejenigen, die bereits über Fremdsprachenkenntnisse verfügen, können diese dank Untertitelung gar ausbauen. Das möchte ich gern an einem Beispiel aus meinem Arbeitsalltag deutlich machen.
Im niederländisch-sprachigen Teil Belgiens stoßen die Menschen in Kinos sowie im Fernsehen fast ausschließlich auf Filme und Serien in Originalsprache mit Untertiteln. Dies hat einen bedeutenden Effekt auf ihre Fremdsprachenkenntnisse. Das kann ich sowohl im Plenum bei den Reden meiner flämischen Kolleginnen und Kollegen feststellen als auch in den Restaurants und Geschäften in der Europahauptstadt.
In diesem Sinne könnten wir durch einen stärkeren Fokus auf die Untertitelung audiovisueller Werke dem Ziel der Förderung des Sprachenlernens sowie der Mehrsprachigkeit sehr viel näherkommen. Das wäre ein positiver Nebeneffekt.
Wie Sie sehen beziehungsweise hören können, ist die Liste an Gründen für einen stärkeren Fokus auf Untertitelung audiovisueller Inhalte lang. Wir müssen deshalb unbedingt damit aufhören, die Untertitelung und Barrierefreiheit von Filmen und TV-Serien als Pflichtaufgabe anzusehen und anfangen, ihre offensichtlichen Chancen zu begreifen. Das ist im Interesse der Zuschauerinnen und Zuschauer, der Filmschaffenden und der Politik.
Das Europäische Parlament und insbesondere der Ausschuss für Kultur und Bildung haben das erkannt und keine Gelegenheit ausgelassen, zu betonen, wie wichtig Untertitel für die Verbreitung von und den Zugang zu europäischen audiovisuellen Werke ist.
Derzeit arbeiten wir unter anderem an der Neuauflage des Programms „Kreatives Europa“, das in der Vergangenheit, aber vor allem auch in der Zukunft die Untertitelung von Filmen und Serien finanziell unterstützen wird.
Mit der Audiovisuellen Mediendienste-Richtlinie haben wir vergangenes Jahr einen Rechtsrahmen geschaffen, der die Verbreitung europäischer Filme durch eine Quote von 30 Prozent in den Katalogen von VOD-Diensten fördert. Dies wird für die Industrie ein Anlass sein, Werke in mehreren Sprachfassungen anzubieten und Investitionen in Technologien zur einfacheren Erstellung von Untertiteln zu tätigen.
Mit der vorbereitenden Maßnahme „Untertitelung europäischer kultureller TV-Inhalte in ganz Europa“ haben wir zudem angestoßen, innovative Strategien für die Bereitstellung von Untertitelversionen zu erproben und die grenzüberschreitende Online-Verbreitung von kulturellen Inhalten somit zu erleichtern.
Nicht zu vergessen ist der LUX-Filmpreis des Europäischen Parlaments, den wir letztes Jahr bereits zum zwölften Mal verliehen haben. Die Finalisten-Filme werden in 24 Amtssprachen der EU untertitelt, der Gewinnerfilm erhält zusätzlich Unterstützung für die Erstellung einer Fassung für hör- und sehbehinderte Menschen sowie für die transnationale Vermarktung. Die Untertitelung von Filmen trägt dazu bei, kulturelle Vielfalt und die Kreativität des europäischen Kinos zu fördern, hilft europäische Werke einem breiteren Publikum zugänglich zu machen und gesellschaftliche Debatten über Länder- und Sprachgrenzen hinweg anzuregen.
Es ist von besonderer Bedeutung, dass wir die notwendigen Weichen stellen. Denn die Erstellung von Untertiteln ist langwierig und verursacht für Filmschaffende zusätzliche Kosten, was insbesondere für kleinere Studios ein echtes Hindernis sein kann. Viele der in der EU produzierten Filme können schon jetzt nicht ihre Produktionskosten wieder vollständig einspielen.
Neue und digitale Technologien, allen voran die automatische Spracherkennung und künstliche Intelligenz, könnten zukünftig dabei helfen, Kosten und Erstellungsdauer der Untertitelung deutlich zu senken. Und wir können ja bereits beobachten, wie erschreckend gut einige US-amerikanische Unternehmen schon heute unsere Stimmen im Alltag erkennen können.
Bislang verfügen Spracherkennungssysteme für die Untertitelung von audiovisuellen Werken allerdings noch nicht über die ausreichende Effizienz. Denn lokale sprachliche Normen, die sich über die Zeit entwickelt haben, und der menschliche Humor lassen sich nicht ganz ohne menschliche Mitarbeit mithilfe digitaler Technologien erfassen oder übersetzen.
In diesem Sinne bin ich gespannt auf die Diskussionsrunden am heutigen Nachmittag, die uns hoffentlich neue Wege für die Untertitelung und bessere Verbreitung von Filmen und Serien aufweisen können und uns vielleicht auch an der ein oder anderen Stelle auf den Boden der Tatsachen zurückholen: Digitalisierung kann nicht jedes Problem zufriedenstellend lösen, auch nicht das der Überbrückung sprachlicher Barrieren. Aber die Chancen die sie trotz aller Begrenztheit liefert, sollten wir offensiv nutzen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.